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Notruf 112

Notruf 112

Titel: Notruf 112 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Seifert , Christian
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nicht stabil. Von diesen Ausfällen waren somit auch Disposition und die automatische Alarmierung betroffen. Wir arbeiteten also regelmäßig im Notbetriebsmodus. In diesen zuweilen nervenzerfetzenden Pannenzeiten waren wir heilfroh, die erfahrenen Kollegen aus der alten Leitstelle an unserer Seite zu haben. Sie hatten das aus heutiger Sicht vorsintflutliche Handbetriebssystem und den Umgang mit den Funklisten von der Pike auf gelernt, zum Teil sogar mitentwickelt. Ihr Hintergrundwissen hat uns und auch mir damals als neuem, jungem Rettungsdienstfunksprecher regelmäßig die Haut gerettet.
    Im Laufe der Zeit wurde dann sehr viel Geld in Technik und Personal investiert, bis wir das wurden, was wir heute sind: die größte und technisch sicher zuverlässigste Leitstelle Bayerns, die den Anforderungen einer Millionenstadt gewachsen ist. Die Jahresverfügbarkeit unseres Einsatzleitrechners liegt heute bei weit über 99,99 Prozent. Im Jahr 2011 lief unsere Leitstelle lediglich für 2,5 Stunden wegen eines unvermeidlichen Updates auf Handbetrieb.
    Umso härter trifft es uns heute, wenn irgendeine Komponente des Systems urplötzlich aussteigt. Sei es die Einsatzbearbeitung, die Grafik, der Statusbildschirm oder die Telefonanlage – trotz unseres regelmäßigen Übungsbetriebes ist es sehr schwierig, ohne Einsatzleitrechner weiterzuarbeiten. Und noch viel aufwendiger ist es, die Einsätze in dieser Ausfallzeit wieder nachträglich zu erfassen. Schon allein deshalb, weil sich die Einsatzzahlen im Gegensatz zu früheren Zeiten vervielfacht haben.
    Bestimmt werden eines schönen Tages die Einsatzorte per Datenfunk durchgegeben, die Wachen mit automatischen, digitalen Durchsagen alarmiert oder die Fahrzeuge und deren Standorte per GPS auf der Karte angezeigt. Das wären wunderbare Erleichterungen für den täglichen Einsatz, auf die wir sehnsüchtig warten. Diese Neuerungen unterstützen den Disponenten bzw. den Funksprecher bis ins kleinste Detail. Der Nachteil ist: Der Orientierungssinn, der persönliche Stadtplan im Kopf jedes einzelnen Mitarbeiters wird immer seltener trainiert. Es ist wie bei manchen technikverliebten Autofahrern, die mittlerweile ohne Navigationsgerät kaum noch zum Bäcker finden. Umso fataler würde uns ein echter Rechnerausfall treffen.
    Selbstverständlich lassen wir uns von solch einem Ausfall nicht unvorbereitet überraschen. Darum müssen alle Disponenten regelmäßig im Rahmen eines Übungsdienstes trainieren, für einen gewissen Zeitraum einen Rechnerausfall zu überbrücken. Glücklicherweise sind Rechnerausfälle in diesem komplexen System aber extrem selten geworden. Auch dank der vielen Technikkollegen im Hintergrund, die mit geradezu hellseherischen Fähigkeiten immer neue Szenarien gedanklich durchspielen und Gefahrenfaktoren ausschalten, lange bevor sie uns einzelne Komponenten oder gar den ganzen Rechner lahmlegen können.

Der Stromausfall
    Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, was in einer Millionenstadt los ist, wenn an einem ganz normalen Donnerstagmorgen plötzlich großflächig der Strom ausfällt? Ich konnte es mir auch nicht vorstellen – bis zu jenem fatalen 15. November 2012, an dem auf einen Schlag 450.000 Haushalte im Dunkeln saßen. Im Norden der Stadt war es in einem Umspannwerk zu einem enormen Kurzschluss gekommen. Die Anwohner in der Umgebung des Umspannwerkes nahmen die gewaltige Entladung als grellen Blitz, gefolgt von einem gewaltigen Knall und dann einem hochfrequenten Summton, wahr. Die Energie war so hoch, dass die Splitter der braunen Keramikisolatoren aus dem Umspannwerk selbst dicke Glasbausteine durchschlugen. In dem Werk brach daraufhin Feuer aus. Eineinhalb Stunden später kam es in einem zweiten Umspannwerk außerhalb der Stadt zu einer ähnlich heftigen Reaktion. Von dort meldete sich telefonisch ein geschockter Radfahrer, den der Explosionsdruck glatt vom Rad gefegt hatte. Er hatte sich beim Sturz leicht verletzt und war so durcheinander, dass er gar nicht mehr wusste, wo er war.
    All das geschah zu einer Zeit, in der Hunderttausende Münchner unter der Dusche stehen, am Frühstückstisch sitzen oder schon auf dem Weg zur Arbeit sind.
    Von einer Sekunde auf die andere fielen im Stadtgebiet Tausende Ampeln und zeitweise auch einige Handynetze aus. Aufzüge mit Hunderten Menschen blieben stecken, Tiefgaragentore und hydraulische Doppeldecker-Stellplätze verweigerten den Dienst. Computer- und Kassensysteme, Schließanlagen und Kühlsysteme fielen aus,

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