Notruf 112
die Kleinsten lernen, dass man die Früchte, das Gemüse, die Milch und das Fleisch sorgsam zu behandeln und zu achten hat. Wahrscheinlich bin ich deshalb damals sofort aktiv geworden, als uns eine dringende Anfrage vom Schlachthof erreichte, die eigentlich nicht in unser Fach fiel. Ein Umstand, der mir zunächst Kritik und Unverständnis bei einem Vorgesetzten einbrachte. Was mir übrigens völlig egal war und noch heute ist.
Es war ein heißer Juniabend, ein Tag vor dem Fronleichnamsfeiertag. Die Wettervorhersage verkündete wunderbares Badewetter, trocken und heiß. Ganz München freute sich auf einen freien Tag in der Natur. Nur im Schlachthof hörte man die gute Prognose mit großer Sorge. Dort war nämlich ein Kühlaggregat ausgefallen, das demontiert und repariert worden war und nun in Anbetracht der großen Hitze allerspätestens am frühen Morgen des Feiertages wieder auf eine Kühlzelle gehoben werden musste. Andernfalls wäre die vorgeschriebene Kühltemperatur nicht mehr zu halten gewesen. Was aus Metzgersicht nicht nur eine unverzeihliche Sünde, sondern auch ein gewaltiger Schaden gewesen wäre. In diesem Raum lagerte nämlich eine überaus kostbare Fracht: allerfeinstes irisches Black-Angus-Steak-Fleisch im Wert von mehreren Hunderttausend Euro!
Den ganzen Nachmittag lang hatte der Bauleiter erfolglos in der Gegend herumtelefoniert, um einen Autokran zu organisieren, der das Kühlaggregat am nächsten Morgen nach der nächtlichen Reparatur an seinen Platz heben sollte. Jetzt wusste er einfach nicht mehr weiter und fragte daher uns: »Ich bin am Ende mit meinem Latein. Ihr von der Feuerwehr habt doch so einen großen Kran. Könnt ihr uns aus der Patsche helfen?«
Der Mann war gut informiert. Auf unseren Feuerwachen 9 und 6 in den Stadtteilen Neuperlach und Pasing stehen diverse große Sonderfahrzeuge, darunter auch zwei rote 50-Tonnen-Kräne, mit denen wir zum Beispiel Unfallfahrzeuge zur Menschenrettung heben. Nur in Einzelfällen – wenn es zum Beispiel schnell gehen muss, ein Tankwagen umgestürzt oder die entgleiste Straßenbahn wieder ins Gleis gehoben werden muss – kommen unsere Kräne zum Einsatz. Alles andere überlassen wir in der Regel den gewerblichen Abschleppdiensten oder Kranverleihunternehmen.
Das hier war eigentlich ohne Frage ein Auftrag für ein privates Autokranunternehmen. Auf der anderen Seite drohte der Verlust eines nicht nur in finanzieller Hinsicht kostbaren Lebensmittels, für dessen Erhalt wir Feuerwehrleute uns durchaus auch zuständig fühlen.
In solch kniffeligen Fällen bin ich verpflichtet, mit dem diensthabenden Direktionsdienst auf der Hauptfeuerwache Rücksprache zu halten. So sind nun mal die Regeln. Der Vorgesetzte zögerte, war von dieser Aktion und dem zu erwartenden Ärger nicht gerade sonderlich begeistert. Aber er sagte auch nicht wirklich »Nein!«.
Ich griff also zu einem kleinen Trick: Um uns in juristischer Hinsicht abzusichern, verlangte ich von dem Bauleiter eine lückenlose Liste der Autokranfirmen inklusive aller Ansprechpartner, die er an diesem Tag bereits erfolglos kontaktiert hatte. Im Falle einer Beschwerde würde ich auf diese Weise belegen können, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden waren, bevor wir ihm mit unserem Kran aushalfen. Der Bauleiter war sehr erleichtert und machte sich sogleich wieder ans Werk.
Abends um 21.30 Uhr dann die überraschende Wende. Der Bauleiter hatte auf meinen Rat hin den Seniorchef einer großen Münchner Autokranfirma ausfindig gemacht und am Abend noch telefonisch erreicht. Der Unternehmer sagte seine Hilfe für den nächsten Morgen fest zu. Damit war für uns die Sache erledigt.
Die interne Kritik an meinem Rettungsversuch konnte ich nie nachvollziehen. Wo bitte ist da der Sinn, kostbares Fleisch vergammeln zu lassen, nur um einer möglichen Beschwerde aus dem Weg zu gehen? Mit solchen Schlagzeilen wäre die Berufsfeuerwehr wohl nicht groß rausgekommen. Ich würde es jedenfalls jederzeit genauso wieder machen. Nicht wegen der Schlagzeilen, sondern weil ich der Meinung bin, dass man – gerade in der heutigen Zeit – Lebensmittel nicht sinnlos verderben lassen darf.
Die Nottrauung
In den langen Jahren ihrer glücklichen Partnerschaft hatten Steffi (35) und Karl (42) nie einen ernsthaften Gedanken an Hochzeit verschwendet. Religiöse Beweggründe spielten für sie keine große Rolle. Beide waren beruflich viel unterwegs. Er als Außendienstmitarbeiter für eine große Softwarefirma, sie als
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