Notruf 112
Reiseverkehrskauffrau. Manchmal hatten Verwandte und Freunde nachgefragt und von beiden immer die gleichen ausweichenden Antworten bekommen: »Hochzeit? Kein Thema für uns. Vielleicht später, wenn mal Kinder kommen. Aber nicht jetzt.« Die Kinder blieben aus. Stattdessen kam der Krebs. Innerhalb weniger Wochen baute der sportliche Karl plötzlich ab. Er fühlte sich ständig müde, nicht mehr belastbar. Als er sogar eine Bergwanderung – sonst eine seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen – vorzeitig abbrechen musste, ging er endlich zum Arzt. Der überwies ihn sofort an die Spezialisten eines großen Münchner Klinikums. Leukämie, eine sehr aggressive Form. Karl nahm den Kampf um sein Leben mutig auf. Monatelang ließ er sämtliche Torturen über sich ergehen, litt, weinte, kotzte, hoffte, fühlte sich plötzlich besser – und erlitt den nächsten Rückfall. Der lebensrettende Stammzellenspender wurde trotz weltweiter Suche nicht gefunden und so war das Ende schließlich trotz aller ärztlichen Kunst nicht mehr aufzuhalten.
Steffi wich in dieser schweren Zeit nicht von Karls Seite. Der nahe Tod schweißte die beiden enger zusammen, als das Leben es je vermocht hatte. In dieser Situation wuchs in beiden schließlich auch der große Wunsch, nun doch zu heiraten. Ein Zeichen zu setzen, das da sagte: Wir gehören zusammen, über den Tod hinaus.
An einem Samstagnachmittag meldete sich bei mir in der Leitstelle Karls behandelnder Arzt. Ein junger, sehr engagierter Mediziner: »Ich weiß nicht mehr weiter. Gebt mir mal einen Rat.« Karls Zustand hatte sich plötzlich dramatisch verschlechtert. Das Wochenende würde er nach Einschätzung seiner Ärzte mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr überleben. Karl hatte seinen Frieden mit sich und dem Leben gemacht und hatte nur noch diesen einen wichtigen Wunsch: Er wollte Steffi heiraten – heute und sofort. Sie sollte seinen Namen weitertragen. Das war den beiden so wichtig. Wo aber sollte man an einem Samstagnachmittag einen Standesbeamten herkriegen? Da fiel dem Arzt nur noch die Feuerwehr ein.
Außerhalb der Bürozeiten fungiert die Integrierte Leitstelle als sogenannter Meldekopf der Stadtverwaltung. Das ist sogar gesetzlich für die Integrierten Leitstellen (ILS-G) festgelegt. Für den Fall der Fälle sind bei uns Kontaktadressen und Telefonnummern aller wichtigen Behördenvertreter hinterlegt, die wir in einer Notsituation auch mal in der Freizeit bemühen müssen. Dazu gehört zum Beispiel das Passamt, falls jemand (natürlich nur in absoluten Ausnahmefällen) einen vorläufigen Reisepass für eine nachweislich unaufschiebbare Auslandsreise benötigt. Auch die Ausländerbehörde, die Lokalbaukommission sowie Verantwortliche der Ordnungsbehörden und des Schulamtes müssen für uns im Notfall erreichbar sein. Wie furchtbar sich fehlende Rufnummern auswirken können, wurde uns vor einigen Jahren an einem Sonntag bewusst. Da meldete die Polizei eine ernst zu nehmende Bombendrohung gegen mehrere Münchner Schulen. Damals waren noch keine Nummern des Münchner Schulreferates in der Integrierten Leitstelle hinterlegt. Wir mussten aber trotzdem sofort aktiv werden, um zu verhindern, dass die Schüler Montag früh zur Schule kommen und schlimmstenfalls einem Amoktäter ahnungslos in die Arme laufen würden. Lediglich für die Brandmeldeanlagen der Schulen waren bei uns Telefonnummern hinterlegt. Wir hatten an diesem Tag Glück – in mehrfacher Hinsicht: Gleich die erste Nummer eines Hausmeisters war tatsächlich noch aktuell. Er war auch zu Hause und ging sogar sofort ans Telefon. Wenige Minuten später meldete sich der Direktor der Schule bei mir, der sich gleich mit dem Schulreferat und der Polizei in Verbindung setzte. So nahm alles seinen Lauf. Kein Schüler geriet in Gefahr und die Polizei konnte ungestört agieren.
Seitdem klappt das mit den Nummern vom Schulreferat. Ärgerlicherweise ist der Verteiler manchmal nicht mehr ganz aktuell, was bereits zu grotesken Situationen geführt hat. Ich habe zum Beispiel mal einen Behördenvertreter kontaktiert. Statt seiner nahm seine Frau den Hörer ab und sagte sehr gefasst: »Sie können meinen Mann leider nicht erreichen. Er ist bereits vor über einem Jahr verstorben.« Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken vor Scham …
Und jetzt also der arme Karl, dem wir unter allen Umständen den letzten Wunsch erfüllen wollten. Über den Behördenleiter fanden wir tatsächlich innerhalb kurzer Zeit einen freundlichen
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