Notruf 112
sich auf dem Dach recht gut aus. Er hat da oben schon mal ein Video für eine Band aufgenommen. Im Dunklen gerät die Aktion allerdings zu einer lebensgefährlichen Kletterei.
Und dann passiert es: Michael K. verwechselt den schmalen Kamin mit der vermeintlichen Zwischenmauer zur Wohnung – und springt in den Schlot!
Nach etwa drei Meter freiem Fall schafft er es, sich mit Armen und Beinen so einzuspreizen, dass er den Absturz zumindest etwas abbremsen kann. Die Wände des alten Kamins sind rau und brüchig und reißen ihm ganze Hautfetzen ab. Der Sturz nimmt überhaupt kein Ende mehr. Sechs Stockwerke tief geht es bergab, bis Michael K. hart auf den Boden prallt. Erleichtert steht der 29-Jährige auf, sucht eine Öffnung, irgendeine Klappe ins Freie – und findet keine. Er greift nach seinem Handy, weiß aber schon, dass das nichts nützen wird, denn der Akku hat schon im Festzelt schlappgemacht. Die aufsteigende Panik unterdrückt er sofort: »Ich wusste, dass ich ruhig bleiben muss. Sonst hätte ich keine Chance gehabt«, sagt er später in einem Interview mit der Münchner Boulevardzeitung tz . Er klopft die Wände ab, sucht Hohlräume, kratzt mit den bloßen Fingern und dem Handy die Fugen auf. Er schafft es, ein kleines Loch zu bohren, bis die Hand durchpasst. Er wirft sogar noch die Außenschale des Handys hindurch und hofft, damit jemanden auf seine Notlage aufmerksam zu machen. Aber es kommt niemand.
Dann versucht er zu klettern. Mit Armen und Beinen stemmt sich Michael vier Meter hoch. Die Lederhose greift gut. Dann jedoch verengt sich der Kamin. Er bleibt ständig hängen, lässt sich wieder auf den Boden gleiten, zieht die Lederhose aus. Doch ohne Hose geht es auch nicht. Der Druck auf die Knie ist viel zu hoch. Zum ersten Mal ahnt er, dass er da allein nicht mehr herauskommen wird. Auf dem Boden liegt ein Stein, mit dem klopft er an die Wände, dann brüllt er so laut wie möglich: »Auf dem Dach! Im Schacht!« Mittlerweile quält ihn der Durst. Am Ende trinkt er seinen eigenen Urin. Nach qualvollen Stunden und immer neuen, sinnlosen Befreiungsversuchen setzt sich bei Michael K. allmählich die Erkenntnis durch, dass es wohl aus ist, dass er hier unten wahrscheinlich qualvoll verdursten wird. Er sucht sich einen spitzen Stein und macht sich mit dem Gedanken vertraut, sein Leben zu beenden und sich die Pulsadern aufzuschneiden, wenn die Qualen allzu groß werden sollten.
Dann jedoch wird das Viereck über seinem Kopf wieder hell. Der Tag bricht an. Michael schreit und klopft wieder. Mittags hat er erstmals das Gefühl, gehört zu werden. Jemand scheint auf seine Klopfversuche zurückzuklopfen. Das war der Hotelgast, der zunächst seinen Ohren nicht ganz traute und mit einer Flasche das Rohr bearbeitete, bevor er sich dann auf die Suche nach dem Hausmeister machte. Auf die Freude folgt jedoch der Frust. Warum kommt denn keiner? Jede Minute eine kleine Ewigkeit. Er mobilisiert seine letzten Kräfte, schreit sich heiser, klettert wieder und fällt herunter. Er spürt, dass ihn die Kräfte zunehmend verlassen. Und dann hört er plötzlich wieder diese Klopfzeichen. Kurz vor 14 Uhr erscheint schließlich der Kopf des Hausmeisters über dem Schacht. Und Michael weiß, dass er gerettet ist.
Erst da gestattet er sich zu weinen. Vor lauter Glück, dass ihm das Leben neu geschenkt wurde.
Dramatisches Rendezvous
Hoch über der Stadt den Blick über die nächtliche Stadt zu genießen – das scheint eine magische Anziehungskraft auf Verliebte auszuüben. Wir Feuerwehrleute kennen allerdings die Gefahren solcher nächtlicher Romantiktrips. Wohl keiner endete jedoch so dramatisch wie dieses Rendezvous hoch über den Dächern Schwabings, das uns an einem Sommerabend Arbeit ohne Ende bescherte und weit über das übliche Maß eines normalen Rettungseinsatzes hinausging.
Auf der Leopoldstraße flanieren an jenem warmen Freitagabend die Münchner und Touristen zu Tausenden über die berühmte Schwabinger Feiermeile mit ihren zahllosen Cafés und In-Lokalen. Zwei verknallte Studenten wollen sich die Sache jedoch lieber von oben ansehen. Julia (23) und Sven (25) klettern also in schönster Prosecco-laune über ein Baugerüst bis in den sechsten Stock eines sanierungsbedürftigen Bürohauses aus den 60er-Jahren. Auf der Suche nach einem halbwegs sauberen Sitzplatz finden die beiden eine flach gewölbte Lichtkuppel. Ein verräterisches Knacken hätte die beiden warnen können. Doch Julia und Sven haben nur Augen
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