NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)
durch
Strömungsgeneratoren in Bewegung gehalten wurde, damit es nicht gefror, war
weniger schlimm als der Schritt, den ich vom Trittbrett des Rovers auf den
Permfrost der Piste setzte. Die Kälte ging durch den Overall, als bestünde er
aus künstlicher Seide. Ich machte ein paar Kniebeugen und Luftsprünge, um den
Kreislauf hochzujagen. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis der Organismus sich
von der Wärme im Cockpit verabschiedet hatte und nur noch so viel Energie
abgab, wie nötig war, die drei Schichten synthetischer Daunen erträglich zu
temperieren. Als ich um den Rover herumging, der hüftlahm auf die Seite gekippt
war, fiel mich der Wind an, der noch beißender war als die trockene Kälte auf
der Leeseite. Ich wandte das Gesicht ab und drehte die Schulter in den Sturm,
der mit gehärteten Eiskristallen um sich schoss. Rückwärts gegen den Druck
gestemmt, kämpfte ich mich zur Hinterachse. Das Rad war herausgedreht, die
Karosserie aufgerissen. Ein armlanges Loch klaffte im Geräteblock, aus dem es
bläulich heraus blakte. Auch der Batterietrakt war undicht. Schneeverwehungen
bildeten sich bis über die verrenkten Schutzbleche hinauf. Von den Kanten des
zerfetzten Metalls wuchsen waagerechte Eisbärte dem endlosen Wind entgegen.
„Wir müssen weg
hier. Eine Reparatur vor Ort ist ausgeschlossen, und ich kann nicht sagen, wie
lange die Systeme noch arbeiten.“
Ich riss mir die
Maske vom Gesicht und knöpfte den Overall auf. Allerdings war es nicht sehr
warm im Rover. Ricardas Atem dampfte.
„Gratuliere, du hast
die Kiste zu Schrott gefahren.“
„Ich kann es nun
einmal nicht ändern. Wir müssen aussteigen und zu Fuß gehen. Voraus ist eine
private Station, sie müssen uns aufnehmen. Wenn es nicht so stürmen würde,
könnte man sie sogar sehen. Höchstens eine Stunde.“
Die Temperatur
betrug sechzig Grad unter null, Tendenz sinkend. Der Wind hatte eine
Geschwindigkeit von siebzig Kilometern, Tendenz auffrischend. Der Luftdruck war
einigermaßen, Tendenz fallend. Es würde sich noch mehr zuziehen und stärker
schneien. Ich hinterließ eine Nachricht auf dem Voice Recorder, in welcher
Richtung wir gehen würden, und aktivierte das Notfallsignal für den Fall, dass
sich die Kommunikation noch einmal fangen würde. Dann stiegen wir aus.
Eine Verständigung war
kaum möglich, da man den Mund unter der Gesichtsmaske und die Ohren in den
daunenen Kapuzen hatte. Außerdem veranstaltete der Sturm ein Geschrei, das
alles andere übertönte. Wir zogen den Kopf zwischen die Schultern, packten die
Arme um den Leib und stiefelten los. Ich ließ sie an meiner linken Seite gehen,
damit sie ein wenig von meinem Windschatten profitierte. Es war vollkommen
dunkel. Waagerechtes Gezisch erfüllte die Lichtkegel unserer Stirnlampen.
Jenseits der kniehohen Aufschüttungen, die die Räumroboter am Straßenrand
auftürmten, verlor sich der Blick in ein-er von Schneelachen und Verwehungen
durchsetzten Geröllandschaft. Die Piste selbst war von den Kettenspuren der
automatischen Fahrzeuge gerillt. Triebschnee wischelte spröd darüber hin. Die rechte
Seite, die dem Wind zugekehrt war, wurde trotz der Anzüge bald taub.
Zwischenzeitlich riss sogar der nächtliche Himmel auf, die Teilnahmslosigkeit
einiger Sterne wurde bebend sichtbar. Jupiter war immer noch ungewohnt, ein
verwaschener rötlicher Fleck flach über dem nördlichen Horizont. Ricarda blieb
stehen, sie zitterte am ganzen Körper. Ich schüttelte sie an den Schultern,
rieb ihre verkrampften Oberarme und schrie sie an. Wir mussten in Bewegung
bleiben. Ein paar Strähnen ihres Haars wehten seitlich aus der Schutzmaske,
Kristallschnüre im dampfenden Licht meiner Lampe.
„Wir müssen weiter
gehen!“, brüllte ich und versuchte, das glasige Eis von ihrem Mundschutz zu
kratzen. Anscheinend bekam sie keine Luft mehr. Auch ich erstickte fast, aber
es war ausgeschlossen, die verklebten Masken abzunehmen, der Speichel wäre in
der Luftröhre gefroren, und man wäre sofort erstickt.
„Wie weit?“
Sie schien
erschöpft, und plötzlich bekam ich furchtbare Panik, dass sie zusammenklappen
könnte. Sie wäre in Minuten unterkühlt und tot, ehe ich jemand hätte
herbeiholen können. Dabei hatte ich Zeit- und Raumgefühl vollständig verloren.
Wie lange mochten wir unterwegs sein? Die Uhr, die ich aus der Seitentasche
zog, war voller Eiskristalle, und als ich sie freigewischt hatte, konnte ich
trotzdem nichts erkennen, weil meine Brille sich beschlagen hatte. Zehn
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