NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)
Minuten
vielleicht, eine Viertelstunde. Ein Drittel der Strecke höchstens.
„Weiter!“
Wir stolperten die
Piste entlang, taub und gefühllos. Ich nahm ihr den Rucksack ab und band ihn
mir vor die Brust. Im Inneren der Maske bildete sich Eis, das vor dem Atem
wieder schmolz und über das Kinn hinunterlief. Mein rechtes Ohr schmerzte.
Ricarda strauchelte, fing sich reflexartig ab und trottete mechanisch weiter.
Ein plötz-liches Erschrecken siedete auf, als mir einfiel, dass wir vielleicht
schon vorbeigelaufen sein könnten. Ich klaubte den Peilsender aus der Tasche
und klopfte darauf herum. Er wies nach vorne, die uferlose Straße hinunter. Das
Signal war schwer abzuschätzen. Ein paar hundert Meter noch? Dann der brennende
Bienenschwarm schräg über uns. Eine fahle Lampe, von aufgebrachtem Schnee
umstöbert. Meterlange Eiszapfen hingen von dem Lichtfleck herab. Masten und
seismologische Aufbauten in fächelnder Beleuchtung. Schließlich einige
Andockstellen und hermetische Zapfstationen für die Räumroboter. Alles von Eis
umkrustet und zur Nordseite hin von Anwehungen verdeckt. Eine graue Halbkuppel,
durch die Glasfront drang grünliches Licht. Die Luftschleuse der Station. Mit
ausgestopfter Hand wischte ich über das Sensorfeld und schob Ricarda in die
aufgleitende Tür.
2. Die
Station
Als die innere Tür
der Schleuse aufzischte, traf uns die Hitze wie ein Schlag. Dabei herrschten
hier nur knapp über Null Grad. Wir rissen uns Maske und Kapuze herunter und
öffneten die Overalls. Ricarda war blass mit scharf gerandeten roten Flecken
auf den Wangen. Sie sah aus, als stünde sie kurz vor einem Kreislaufkollaps.
Auf der Oberlippe hatte sich aus dem Kondenswasser, das aus der Nase troff, ein
dicker Eisklump-en gebildet, den sie mit blickloser Miene abriss. Ihre Lippen
waren so blau wie damals, als wir von unserem ersten Außeneinsatz zurückkamen.
In den Ohren begann die wiederbelebte Durchblutung zu brennen. Auch ich hatte
den Bart voller Atemeis und war wie benommen. Wir gingen einen nackten Gang aus
feuchtem Beton hinunter und kamen an einen Vorhang aus schwerem Stoff. Dahinter
traten wir in einen kleinen Raum, wie man ihn früher von Skifreizeiten kannte.
Holzbänke standen an den Seiten. Kleiderständer und Regale trugen Overalls und
Stiefel, aus der Ecke blies ein Lüfter trockenen Wind über die Mäntel und
Schals und Sturmmasken und Schutzbrillen. Dafür gab es keine Kameras, keine
Konsolen mit automatischer Stimmerkenn-ung, keine Identifikationsschlitze. Wir
waren auf einer privaten Station. Ricarda plumpste auf eine der schlichten
Holzbänke und begann, den Anzug zu öffnen, als eine Stahltür am
entgegengesetzten Ende des Kleiderraumes aufging und eine ältere Frau eintrat.
Sie hatte die Statur einer Matrone und das alterslose Gesicht einer Mongolin
oder Tibeterin. Ihre unförmige Figur war in ein ganzes Sortiment von Decken und
Fellen gewickelt, die die schweren Hüften noch breiter machten. Das asiatische
Lächeln war undurchdringlich, sie mochte vielleicht fünfzig Jahre alt sein. Sie
begrüßte uns wie alte Bekannte und stellte sich als Frau Lapkha vor.
„Sie sind von der
Wegener-Station, nicht wahr? Ich habe Ihr Peilsignal empfangen und Sie
identifiziert. Sonst hätte ich die Schleuse gar nicht freigegeben. Hier draußen
treibt sich manchmal gefährliches Volk herum“, fügte sie noch hinzu.
Ein Mädchen von etwa
sechzehn oder siebzehn Jahren kam herein und schenkte uns ein warmes Getränk
aus. Wir tranken aus breiten Tassen aus einem mir unbekannten keramischen
Material. Ich dachte erst an Tee, aber es schwammen Fettaugen darauf, und der
Geschmack, als ich vorsichtig daran nippte, erinnerte eher an eine wässrige
Bouillon.
„Buttertee“, sagte
unsere Gastgeberin, „das tibetische Nationalgetränk. Meine Großmutter hat es
mir beigebracht. Wärmt und kräftigt. Als Kind habe ich im Winter tagelang
nichts anderes zu mir genommen. An den Geschmack werden Sie sich gewöhnen.“
Unsere Körper
bestanden nur aus dem Kribbeln und Brennen, wie es einer plötzlichen Erwärmung
folgt, aber das fremdartige Getränk war sehr wohltuend. Eine Weile schwiegen
wir und schlürften leise an dem salzigen Tee.
„Sie hatten einen
Notfall“, stellte die Alte fest und half Ricarda, aus der gefütterten Hose zu
schlüpfen. „Zieh nur alles aus, Mädchen, wir sind hier unter uns. Drin ist es
warm.“
„Unser Rover ist
liegengeblieben, etwa drei Kilometer von hier.“
„Kein Wunder, dass
ihr
Weitere Kostenlose Bücher