NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)
so durchgeschüttelt seid. Es sind schon Leute auf kürzeren Entfernungen
erfroren.“
Sie hielt Ricarda
die dampfende Tasse, die sie unauffällig beiseite gestellt hatte, unter die
Nase und nötigte sie zu trinken. Meine Copilotin umfasste den Becher mit beiden
Händen, die sie dazu in die Ärmel zurückzog, und schnitt ein angewidertes
Gesicht. Ich hatte meine Portion leer und wollte triumphierend das Geschirr
zurück-geben, als das Mädchen, das wortlos neben der Tür gewartet hatte,
herankam und mir wieder eingoss. Ricarda reagierte auf mein kapitulierendes
Grinsen nicht. Sie war selbst für Galgenhumor nicht mehr zu gebrauchen. Die
Alte kniete mühsam vor ihr auf die dicken Teppiche, die den nackten Beton
bedeckten, und zog Ricarda die Stiefel aus. Während sie ihr die gefühllosen
Füße walkte, wandte sie sich über die Schulter zu mir. Ihr schwerer
pechschwarzer Zopf reichte bis auf den Boden.
„Warum habt ihr kein
Notsignal abgesetzt? Ich hätte jemand rausgeschickt, der euch holt.“
Ich erklärte ihr,
was passiert war, und ließ mir von der Kleinen nachschenken. Ihre Kanne schien
jetzt leer, denn sie verschwand so wortlos, wie sie gekommen war. Ricarda
konnte wieder aufstehen, und so gingen wir, nur noch mit dem Unterzeug aus
künstlicher Baumwolle bekleidet, hinter der Bringerin des öligen Tees her. Die
Tür führte auf einen Zwischengang voller Schränke und Gerätschaften. Wir
duckten uns unter einem weiteren schweren Vorhang hindurch und kamen in den
Wohnbereich. Dampfige Wärme schlug uns entgegen. Unsere Gastgeberin legte den
Schurz ab, den sie um die feisten Hüften geschlungen hatte und der aus echten
Kaninchenfellen zu bestehen schien. Eine Kostbarkeit. Die übrigen dicken
Kleider und Umhänge behielt sie an. Ich schätzte die Temperatur hier drinnen
auf dreißig Grad. Die Wände bestanden aus dunklem Holz, als befände man sich in
einem Blockhaus. Alles war mit Tep-pichen ausgelegt. Breite, flache Sitzmöbel
standen in mehreren Gruppen um kniehohe Tische zusammen. An einer der
Seitenwände brannte ein Kamin, der tatsächlich aussah, als werde er mit Holz
befeuert. Eine Wendeltreppe führte nach unten, wo ich den größeren Teil der
Station vermutete. Das hier war wohl nur das Empfangszimmer. Den hinteren Teil
des Raumes verdeckten Stellwände und Vorhänge. Rechterhand war eine Art Bar
aufgebaut.
„Wir bewirten auch
Leute von den Stationen oder von den Serviceteams, die manchmal vorbeikommen“,
erklärte die Alte. „Ein kleiner Zusatzverdienst. Wenn der Tunnel entlang der
Piste fertig ist, werden wir wohl auch darauf verzichten müssen. Ihr von der
Staatlichen seid euch natürlich schon heute zu gut für so etwas.“
„Ich hatte keine
Ahnung“, sagte Ricarda leise, „dass hier draußen derartige - Restaurationen
bestehen. Aber hundert Kilometer mit dem Rover wären auch zu arg, bloß um
abends mal was trinken zu gehen.“
An einem der Tische
saßen zwei Kinder von schätzungsweise acht und neun Jahren bei einem elektronischen
Brettspiel, die nur kurz aufsahen, sich dann aber nicht weiter stören ließen.
Und vor der Bar hockte ein Mann, einige Jahre jünger als ich, vor einem Glas.
Er stieß sich von der Theke ab und kam charismatisch auf uns zu. Ricarda
streifte die Ärmel zurück und streckte ihm die Hand entgegen, die rot von Wärme
war. Es war Dr. Steffens, ein Seismologe von einer der weiter westlich
gelegenen Stationen. Er trug einen Rollkragen zum geföhnten Haar und lachte
jeden aus wasserblauen Augen an, als sei er sein persönlicher Freund. Die
Matrone wies auf einen der niedrigen Tische und ließ uns Platz nehmen. Das
stumme Mädchen erschien mit einem Tablett und begann eine Mahlzeit aufzutragen.
Ich hatte keine Lust, meine Story zum dritten Mal zu erzählen, sondern überließ
es Ricarda, dem sonnigen Geophysiker von unserem Malheur zu berichten. Sie
schien aufzutauen, hatte das Baumwollhemd bis zu den Ellbogen aufgekrempelt und
gestikulierte engagiert. Ich widmete mich solange den Teigtaschen und
Hackfleischbällchen, die in immer neuen Schüsseln vor meinen überflüssigen
Knien erschienen.
Wir lagen
nebeneinander, fast wie in einem Ehebett, nur mit dem meterbreiten Abgrund
zwischen uns. Ich hatte auf unserer Station angerufen und den Kollegen den
Status quo verklickert. Ich glaube, Tom war dran. Die Verbindung war miserabel
gemessen daran, dass es kaum hundert Kilometer waren. Atmosphärische
Störungen hackten auf den Richtfunkstrecken herum. Wird Zeit, dass
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