NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)
Löschfunktion in
den Schädel gelötet? Es wäre einfacher.
Schwer zu sagen,
warum wir eigentlich den Rover nahmen. Ich hätte ihr genauso gut auch eine
Drohne rufen können, die sie direkt beim nächsten Tunnelpunkt abgesetzt hätte.
Sie deutete selbst die Möglichkeit an, zur Control Base zu fahren und von dort
aus mit einem Shuttle nach Thule II zu fliegen. Dabei zog sie die kalten Hände
in die Ärmel ihres Fleece-Pullis zurück und sah mich aus ihren opaleszierenden
graugrünen Augen an, deren Farbe mir bis heute rätselhaft ist. Was würde ich
darum geben, einmal ihre Augen bei Tageslicht zu sehen! Hat der Verurteilte
noch einen letzten Wunsch? Ich möchte einmal die Iris von Ricarda Myers im
Sonnenschein sehen. Und dann: Legt an - Feuer! Hahaha... Jedenfalls weiß ich
nicht mehr, was mich dabei ritt, als ich ihr anbot, sie selbst zur Base zu
chauffieren. Ohnehin erscheint mir die Affäre im Nachhinein wie unter einem
ältlichen Nebel, als wäre ich nicht ganz bei mir gewesen. Die Frauen verwandeln
uns entweder in unreife Kinder, dann nennt man sie Mütter, oder in verkalkte
Greise, dann nennt man sie Geliebte. In jedem Fall sprechen sie uns die
Mündigkeit ab - eine dritte Möglichkeit scheint es nicht zu geben. Es war
natürlich reine Angeberei, ein heroisches Abenteuer zeichnete sich da ab:
dreihundert Kilometer zu zweit im Rover über das Große Plateau. Aber wenn wir
anfangen zu glauben, wir müssten imponieren, haben wir in Wahrheit schon
verloren. Ein unsicherer Krampf, etwas von einem verzweifelten Kraftakt lag von
Anfang an über der albernen Aktion. Ich nahm zwei Tage Sonderurlaub, was innerhalb
der Schicht nur möglich war, weil wir damals asymmetrisch rotierten und gerade
zu fünft waren, stimmt auch wieder. Die Akkumulatoren des Rovers hatten Energie
für eine Woche. Ich führte eigenhändig sämtliche Selbsttests durch. Am
Vormittag des 21. Dezember, gegen zehn Uhr Ortszeit, fuhren wir los. Draußen
herrschte leichter Schneefall bei Windgeschwindigkeiten von 50 - 60 km/h; die
Temperatur betrug -57°C. Und es war natürlich vollkommen dunkel.
Sie saß schon, als
ich in die Fahrzeughalle kam. Ich war noch kurz in der Zentrale gewesen, hatte
uns abgemeldet und mich vergewissert, dass der letzte Räumroboter vor ein paar
Stunden durch war. Wenn wir gut vorangekommen wären, hätten wir ihn ziemlich genau
bis zur Control Base eingeholt gehabt. Natürlich würdigte sie mich weder
Blickes noch Wortes, sondern starrte schlafzimmern vor sich hin, die Hände rot
ineinander verkrallt. Aus dem CommCorder des Rovers dudelte irgendetwas
Polyphones, Bach oder Telemann vielleicht. Ich wusste, dass sie von klassischer
Musik genauso wenig oder gar keine Ahnung hatte wie ich auch. Aber umgekehrt
wusste sie, dass ich wusste, dass sie das Geklimper nur einschaltete, um mich
zu ärgern. Deshalb bestand sie darauf, während der ganzen Fahrt auf dem
kindischen Barocksender zu
bleiben. Das Wasserstoff-Aggregat sprang selbsttätig an, sowie ich die Türen
geschlossen und verriegelt hatte. Nach und nach erloschen die roten
Kontroll-Dioden. Im marmornen Licht der aufflammenden Scheinwerfer strudelte
verwehter Schnee durch die emporgähnenden Schotte. Langsam rollten wir, zu den
Klängen von Vivaldis „Frühling“, in die sandige Nacht hinaus, deren Ende wir
nicht mehr erleben werden. Die Piste war frei. Nur leichte Schlieren von
staubtrockenem Altschnee wellten darüber hin. Ich hätte auch an die Automatik
übergeben können, aber aus irgendwelchen nervengeschichtlichen Gründen steuerte
ich lieber selbst. Einige hundert Kilometer, früher eine Sache von kaum einer
Stunde. Dieses Gefährt hier bewegte sich allerdings in besserer
Schrittgeschwindigkeit, so dass wir den ganzen Tag unterwegs sein würden. In
der ersten Stunde fiel kein einziges Wort. Je länger ich mir überlegte, dass
sie jedes Thema, das ich anschnitte, als hilflosen Versuch der Annäherung
auslegen würde, umso krampfhafter irrte ich in den geschäftlichen und privaten
Möglichkeiten herum, die sich theoretisch boten. Und tatsächlich: eine war so
vorsätzlich wie die andere. Trotzdem dimmte ich irgendwann mit einer
beiläufigen Bewegung über dem Sensorfeld die unerträglich harmlose Musik
herunter und griff im Dunkel des Cockpits nach ihrer kalten Hand.
„Wie geht es deiner
Mutter?“
„Schlecht. Deshalb
fahre ich ja hin.“
„Wirst du den ganzen
Urlaub bei ihr verbringen?“
„Das hängt davon ab,
wie sich ihr Zustand
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