NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)
denen die Anlage im Pazifik ihre Energie bezieht, Atomarer
Winter genannt wird. Vor einigen Monaten haben wir den Jupiter passiert,
möglichst dicht, um seine Beschleunigung auszunutzen. Zu dicht, wie Kritiker
behaupten, denn die Gezeitenkräfte, die einige Wochen lang auftraten, kneteten
die Erdkruste nicht unerheblich durch. Ausnahmsweise würde ich hier aber
Steffens zustimmen: langfristig wird unser Planet, der eisbedeckt durch den
interstellaren Raum zieht, hierdurch die wenigsten Blessuren davontragen.“
Wieder breitete sich
Schweigen aus. Natürlich waren mir die Abläufe bekannt gewesen. Die Anfänge aus
den Geschichtsstunden am College und auf der Kadettenanstalt, das Ereignis
selbst aus eigener Anschauung. Ich war damals in Berlin gewesen, das seitdem
Thule I heißt. Man konnte sich der Sonne kaum noch ungeschützt aussetzen, die
mit doppeltem Umfang und zinnoberroter Farbe heraufgestiegen kam. Wir hatten
Brillen aus bedampfter Folie auf. Alex blinzelte immer verführerisch über das
Kunststoffgestell hinweg. Ihr kupfernes Haar leuchtete intensiv auf, als die
Sonne aus den Wolken hervortrat und bewegungslos am Himmel stehen blieb. Selbst
ohne die Teleskope, die auf allen Plätzen und Dächern aufgeschlagen waren,
konnte man feststellen, wie der scheinbare Lauf des Gestirns verlangsamt und
angehalten wurde. Später pendelte sich die Erdrotation wieder ein. Sie war in
Wahrheit auch nie angehalten gewesen. Lediglich das Herumschwingen, das den
Planeten von den Zentripetalkräften abkoppelte und ihn seiner geradlinigen
Trägheit überließ, hatte kurzzeitig diesen Eindruck erweckt. In der Nacht
stürzte der Mond vom Himmel. Wir hatten uns geliebt und standen nebeneinander
im offenen Fenster, beides zum letzten Mal. Die Scheibe wuchs auf das Zehnfache
ihres Durchmessers, um dann in den folgenden Wochen mehr und mehr zu
schrumpfen. Wir begannen, ein unterirdisches Leben in hermetischen Kuppeln zu
führen.
Irgendwann, während
ich so vor mich hinstarrte und versuchte, den Nachgeschmack des furchtbaren
Fusels herunterzuschlucken, hatte ich wieder dieses Gefühl, beobachtet zu
werden. Der Alte war in seinen Sitz zurückgesunken und sah auf seine Hände
hinab. Der hintere Teil des Raumes war dunkel. In dem flackernden Lichtschein,
der aus dem Kamin fiel, kauerte eine schwarze Gestalt. Sie konnte unmöglich aus
den unteren Stockwerken über die Wendeltreppe gekommen sein, denn das hätte ich
bemerken müssen. Es musste einen rückwärtigen Eingang über den abgetrennten
Küchenbereich geben. Ich versuchte die bewegungslose Silhouette zu fixieren. Es
war Pâ, die lauschend auf ihrem Schemel hockte. Der Alte bemerkte meine
Irritation und sah kurz über die Schulter hinweg zu seiner Tochter.
Offensichtlich schien ihn ihre Anwesenheit nicht zu stören, denn bald darauf
fuhr er in seinen Überlegungen fort. Nach einer Weile allgemeinen Geplauders,
in der er sich wie beiläufig nach meinen Studien in Harvard und dem Thema
meiner Dissertation sowie nach dem Ausrüstungsstand meiner Station, aktuellen
Bohrprojekten und meinen weiteren Karrierevorstellungen erkundigte, fasste er
mich scharf ins Auge. Seine folgenden Eröffnungen, die er leise, mit papierener
Stimme vortrug, trafen mich völlig unvorbereitet.
„Junger Mann: Sie
haben sich politisch kompromittiert. Wenn ich wollte, könnte ich Sie denunzieren
und angeben, Sie hätten behauptet, die Union sei eine Diktatur. Tatsächlich
haben Sie sogar geäußert, man solle den Präsidenten umbringen. Sie sind also in
meiner Hand. Das ermöglicht mir, Ihnen einige Details mitzuteilen, in die nur
wenige Kommissionsmitglieder eingeweiht sind.“
Ich war zu
überrumpelt, um zu reagieren, und kam gar nicht auf die Idee, ihn zu fragen,
warum er mir diese Dinge anvertrauen wolle. Ich muss wohl doch etwas benebelt
gewesen sein, sonst hätte ich mir sagen müssen, dass eine solche
Mitwisserschaft auch bezahlt werden muss. Allerdings ließ er sich später
nochmals sehr lange Zeit, ehe er sein Angebot aussprach.
„Was glauben Sie“,
fragte er zunächst, „wie lange wir noch unterwegs sein werden?“
„Nun, den
offiziellen Angaben zufolge sind es etwa noch 50 Jahre, bis wir in das
Schwerefeld von Alpha Zeti gelangen. Das zu erleben, rechne ich mir noch
gewisse Hoffnungen aus. Ich wäre dann ziemlich genau so alt wie Sie heute. Das
dürfte auch ohne Manipulation zu schaffen sein.“
Bei diesen Worten
schnitt er eine wegwerfende Grimasse. Ich fuhr fort.
„Nach weiteren
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