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NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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zehn
Jahren dürfte so etwas wie Sonnenlicht zu sehen sein. Bis die Erde auf einer
stabilen Umlaufbahn ist und die Ozeane aufgetaut sind - das werde ich nicht
mehr mit Augen sehen...“
    „Sie haben eine
naturwissenschaftliche Ausbildung genossen“, unterbrach er mich. „Haben Sie die
Zeithorizonte, die die Propaganda Ihnen erzählt, niemals nachgerechnet? Aber
anscheinend hat selbst ein Physiker keine konkreten Vorstellungen von den
Dimensionen des Universums und bildet sich ein, man könne in einigen
Jahrzehnten von einem Stern zum anderen springen. In Wahrheit wird es über 300
Jahre dauern, bis die Gravitation von Alpha Zeti uns erfasst, und weit über 400,
bis wieder halbwegs normale Verhältnisse herrschen, d. h. bis man die
unterirdischen Städte verlassen können wird. Gesetzt außerdem, das Manöver des
Abbremsens und Einschwenkens gelingt und es ist noch jemand da, der sich
darüber freuen kann.“
    Habe ich damals die
Bedeutung dieser Mitteilung erfasst? Ich weiß nicht, ob ich sie bis heute
erfasst habe. Vierhundert Jahre. Ich hatte mir immer vorgestellt, als alter
Mann von achtzig oder neunzig Jahren noch zu erleben, wie sich aus der ewigen
Nacht am Himmel ein einzelner Stern abhebt und sonnenhaft wird. Meine Kinder
und Enkel würden wieder wissen, was Tageslicht ist und Frühling und warmer Wind
und Baden am Meer. Unwillkürlich hatte ich in diesen Träumen immer Ricarda an
meiner Seite, und sie war natürlich genauso jung geblieben, wie sie heute ist.
Früher hatte ich mir Alex vorgestellt. Wir standen auf einem offenen Platz in
Berlin und spürten zum ersten Mal wieder die Sonne auf der Haut. Das war in den
ersten Jahren, als ich noch nicht verwunden hatte, dass sie sich von mir
getrennt hatte.
    Der Alte hatte
Recht, es war nicht einfach ein quantitativer Unterschied. 50 oder auch 70
Jahre kann ein Mensch erfassen. Es ist ein Zeitraum, den er sich vorzustellen
vermag, weil sein Leben ihn umgreifen kann. 400 Jahre sind eine Strecke, die
über das Menschliche hinausgeht und die weder politisch noch wissenschaftlich
zu kontroll-ieren ist. Ich verstand nun auch seine grundlegende Skepsis, auf
die er im weiteren Verlauf des Gesprächs wiederholt zurückkam.
     
    „Die Chancen“, sagte
er irgendwann - und ich war längst Träger von Geheimnissen, die mein Leben
radikal verändern würden -, „dass die Menschheit die Passage überlebt, werden
als verschwindend gering eingeschätzt. Vermutlich wird die Atmosphäre
vollständig zusammengebrochen und der Planet dauerhaft unbewohnbar sein, ehe
wir auf der anderen Seite der Dunkelheit ankommen. Vor allem aber bezweifle
ich, dass die Menschheit nach den drei oder vier Jahrhunderten noch in der Lage
sein wird, das sogenannte Triebwerk zum Abbremsen umzuprogrammieren und die
nötig-en Kurskorrekturen vorzunehmen. Die geistige Zerrüttung greift sehr viel
schneller um sich, als man befürchtet hatte. Der Zentrale Rat war der
Auffassung, eine technokratische Diktatur aufrechterhalten zu können, um die Anlage
während der gesamten Passage zu kontrollieren. Bereits nach zehn Jahren zeigt
sich, dass der Widerstand sehr viel stärker als kalkuliert ist. Die südlichen
Provinzen sind weitgehend in Anarchie versunken.“
    Er zählte die Städte
auf, die sich unabhängig erklärt hatten und malte die möglichen politischen
Implikationen des Prozesses aus. Er war umfassend informiert und ließ
durchblicken, dass er auch an der Entscheidungsfindung im Zentralen Rat
beteiligt sei. Wenig später unterbreitete er mir das Angebot. Ich bat nur aus
rhetorischen Gründen um eine Bedenkzeit. Die Ereignisse waren unumkehrbar
geworden.
    „Sie sind ein
intelligenter Mann“, sagte er dann, „der eine anspruchsvolle Ausbildung
genossen hat. Sie stehen im Dienst der Union, aber noch auf subalterner
Po-sition. Von den materiellen und technologischen Möglichkeiten der Kommission
und des Rates haben Sie allenfalls fantastische Vorstellungen. Privat scheinen
Sie eher ein Pechvogel zu sein - oder wie soll ich es deuten, dass Ihre
Verlobte unten mit einem anderen im Bett liegt? Sie werden auch daraus Kraft
beziehen. Lassen Sie sich nicht einreden, dass Engagement und Motivation
positive Dinge seien. Der größte Antrieb ist der Zorn, und es ist auch der
einzige, der Sie durch eine solche Aufgabe tragen kann. Hass, Wut und
Verzweiflung können einen Menschen viel weiter bringen als sentimentaler guter
Wille und Weltverbesserungsidealismus. Lassen Sie mich sentenziös werde: die
Kraft,

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