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NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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ein
schmaler Stuhl nahe der Schießscharte, durch die helles Sonnenlicht fiel. Er
setzte sich dorthin und badete das Gesicht in der Wärme. Grundsätzlich war das
gar nicht so verkehrt. Er entspannte sich. Der Job schien einfacher zu sein als
erwartet.
    Die
Zeit verging. Seine Haut fing an zu spannen und zu prickeln, also zog er sich
in den Schatten zurück. Doch es ging kein Windhauch, und die Sonne hatte die
Luft in der Kemenate aufgeheizt. Auf einmal verspürte er Durst, doch da gab es
nichts in dem Raum. Er trat wieder zur Schießscharte und spähte hinunter. Tief
unten sah er Wald. Viel Wald. Das Blätterdach erstreckte sich von Horizont zu
Horizont, nirgends das Anzeichen einer Straße, eines Dorfes. Es wird eine Burg
geben, zu der dieser Turm gehört, dachte Paul. Auch wenn ich die Stallungen aus
dieser Höhe nicht sehen kann. Ich muss nur die Treppe hinunter wandern. Jeder
Turm hat eine Wendeltreppe. Er sah sich um. Tatsächlich, in der Wand, dem
Fenster gegenüber, war eine Tür eingelassen. Daneben stak eine nicht
angezündete Fackel in einer eisernen Wandhalterung. Der Durst wurde größer. Paul
ging zur Tür und zog an dem eisernen Ring am eisernen Türbeschlag, doch nichts
geschah. Die Tür war fest verschlossen. Paul war gefangen. Langsam wich das
Licht aus der Turmzelle, die Sonne sank tiefer. Paul setzte sich wieder auf den
Stuhl. Sein Kopf war schlagartig leer. Er wusste nicht was er machen sollte,
was er überhaupt machen konnte. Rufen? Er war so weit weg vom Schuss, dass ihn
niemand hören würde, selbst wenn es einen Menschen dort unten geben würde. Die
Tür aufbrechen? Sie war massiv, das hatte er vor ein paar Minuten erleben
können. Einen Gang graben? Ja, sicher. Er grinste schief. Gab ja auch so viel
zum Graben hier drinnen. Einen Stuhl und ein Kissen mit goldenen Posamenten.
Vier Quasten für ein Halleluja! Die Einsamkeit kam an ihn heran gekrochen wie
die Dunkelheit, die allmählich über den Horizont flutete, am Turm heraufstieg
und durch die Schießscharte herein schwappte.
    Paul
kletterte auf den Stuhl, kniete sich auf die Sitzfläche. Er wollte gerade seine
Arme in der schmalen Öffnung aufstützen, als er stutzte. Ein kleiner Kaktus
stand auf einmal in der Leibung, mit spitzen Stacheln, die aggressiv in alle
Richtungen ab-standen. Er wich zurück, setzte sich wieder auf den Stuhl. Stand
nach einer Weile auf, um durch die Zelle zu tigern, immer auf der Suche nach
einer Lösung, immer auf der Flucht vor der Hoffnungslosigkeit. Der Durst war
nicht zu leugnen. Zusätzlich machte seine Blase Probleme. Auch hier gab es
keine Hilfe, keinen Ausweg. Er hätte auf das Kissen pinkeln können, um den
Schaden zu begrenzen, und hernach das Kissen aus dem Fenster werfen können,
doch was hätte das auf die Dauer gebracht? Außerdem weigerte er sich, dieser
Lösung nachzugeben, dazu war er schon zu lange dem Töpfchen entwachsen. Paul
schüttelte den Kopf. Das war Irrsinn, reiner Irrsinn. Er versuchte sich
abzulenken, begann Steine im Mauerwerk zu zählen, doch ohne Licht war das eine
mühselige und letztlich zum Scheitern verurteilte Aufgabe. Er setzte sich
wieder auf den Stuhl, nachdem er einige Male auf die Tür eingehämmert hatte,
nur um den dumpfen Schlägen zu lauschen, die ihm vom Holz entgegen sprangen.
Als die Mitternacht in die Zelle herein spähte, fand sie Paul schwankend auf
seinem Sitz vor, eine Hand in den Schritt gepresst, die andere lag auf dem
Kaktus, denn es waren allein dessen Stacheln, die Paul davor bewahrten, sich
selber verloren zu gehen. Kurz vor der Dämmerung dann, als die Welt am
einsamsten war, stand er auf, öffnete seinen Hosenstall und erleichterte sich
auf das Kissen. Danach blieb er in der Mitte des Raumes stehen, atmete so flach
wie möglich, konnte dem Geruch seines Urins jedoch nicht entkommen. Nach ein
paar Minuten, in denen er das Gefühl der Scham förmlich schmecken konnte,
nickte er kurz. Dann konzentrierte er sich wieder, ging auf die Zellentür zu
und strich über das Holz, solange bis er das kühle Metall des Türdrückers
einer weißen ordinären Zimmertür unter den Fingern spüren konnte.
    Ein
Griff, ein Zug, ein Ruck, ein Zuschnappen.
    Paul
fand sich in dem weißen Gang wieder. Er blinzelte in die plötzliche Helligkeit,
als ob er aus tiefem Schlaf erwachen würde. Er sah auf die Tür hinter ihm. Es
war nicht alles gesagt worden dort, überlegte er. Eigentlich war kein einziges
Wort gefallen. Keine Aktion, keine Reaktion, nur Taten- und Hilflosigkeit.

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