NOVA Science Fiction Magazin 20
dennoch etwas mehr
Zeit gewünscht, um mit mir selbst ins Reine zu kommen – falls das überhaupt
möglich ist ...“
Theodorus,
der ein aufmerksamer Beobachter war, sah, dass zu Füßen des Paters etwas
Dunkles zu Boden getropft war. Blut?
„Dafür
haben wir durchaus Verständnis“, erwiderte der Obere mit einem nachsichtigen
Lächeln. „Nur sehen wir im Moment keine Anzeichen für eine Entwicklung in
diesem Sinne. Es scheint vielmehr, als ob du dich stattdessen noch weiter
zurückziehst.“
Aus
Sicht des Provinzials war das noch eine sehr vorsichtige Formulierung im
Hinblick auf den Gemütszustand des Paters, der – wenn Theodorus die Zeichen
richtig deutete – mittlerweile sogar zu blutigen Selbstkasteiungen führte.
„Du
brauchst dringend Hilfe“, hakte er nach und sah, wie sich die Miene des Paters
verdüsterte.
„Ihr
habt Recht, Vater“, sagte der mit belegter Stimme und räusperte sich. „Aber die
Kraft, die ich brauche, kann ich nur im Gebet finden. Es ist nicht mangelndes
Vertrauen, das mich daran hindert, zu berichten und Euren Rat zu suchen. Aber
wie sollte ich etwas beschreiben, für das es keine Worte gibt? Ihr habt mich an
einen Ort geschickt, von dem man nicht zurückkehren sollte. Es ist dunkel,
Vater, aber die Dunkelheit ist nicht irgendwo draußen, sondern in mir. Habt
Erbarmen und lasst mich allein ...“
Darauf
gab es nichts zu sagen, jedenfalls nichts, das nicht unpassend oder falsch
geklungen hätte, und so schwiegen beide, bis sich Pater Theodorus mit einem
leisen „Der Herr möge uns vergeben, Bruder.“ verabschiedete und die Zelle des
Mannes verließ, der den Himmel der Maschinen kennen gelernt hatte.
Benedict
sah ihm nach und atmete tief durch, als die Tür mit einem sanften Klicken ins
Schloss fiel. Der Besuch hatte ihn angestrengt, und als er sich zurücklehnte,
konnte er förmlich spüren, wie sich die Anspannung seiner Muskeln löste.
Dabei
war seine Erleichterung im Grunde völlig irrational. Nichts hatte sich
geändert, erst recht nicht zum Besseren …
Pater
Theodorus meinte es gut, daran bestand kein Zweifel, aber auch er konnte ihm
nicht helfen. Kein Außenstehender konnte das, und deshalb war Benedict dankbar
dafür, dass der Provinzial gegangen war. Was ihn bedrückte, war mit Worten
nicht adäquat zu vermitteln. Selbst wenn er sich irgendwann einmal dazu durchrang,
das Erlebte wiederzugeben, würde ihn niemand verstehen, der nicht selbst dort gewesen war, und das schloss – wie seine „Gastgeber“ den Oberen versichert
hatten – die Lebenden aus ….
Benedict
hatte den Auftrag nicht aus Überzeugung oder gar Neugier übernommen, sondern
ausschließlich, um seinen Pflichten zu genügen. Er war skeptisch geblieben,
sogar noch in der Phase des Skips , der sich kaum von dem der üblichen
VR-Ausflüge unterschieden hatte und nicht dazu angetan war, Besonderes zu
erwarten.
Aber
es war dort , dieses Besondere, und die Unmöglichkeit, es in Worte zu
fassen, änderte nichts an der Intensität dieser Erfahrung.
Die
begrifflichen Schwierigkeiten begannen schon bei der Beschreibung seiner
Ankunft. Benedict kam nicht wirklich „zu sich“, denn es gab keinerlei
Kontinuität zwischen seiner Existenz vorher und dem, was er dort war.
Zweifellos erwachte er irgendwie, aber sein neues Ich war etwas völlig anderes
als das, was man gemeinhin als „Bewusstsein“ bezeichnete. Es war nicht nur
seines Körpers beraubt oder zutreffender enthoben , sondern auch
sämtlicher Sinne, die es üblicherweise mit Informationen von außen versorgten.
Dennoch war die logisch anmutende Schlussfolgerung, er sei plötzlich blind,
taub und empfindungslos geworden, genauso zutreffend und dennoch irreführend
wie etwa die Feststellung, ein im Meer schwimmender Fisch sei nass.
Doch
jeder Erklärungsversuch musste in einem Missverständnis enden oder gar Zweifel
an seiner geistigen Gesundheit auslösen, wenn er sich den Oberen tatsächlich
offenbarte. Sie konnten ihn nicht verstehen, denn sie hatten nicht erlebt, was
er erlebt hatte.
Wie
also konnte er ihnen das überwältigende Gefühl, nein, die Gewissheit nahe
bringen, angekommen zu sein oder das Fehlen jeglicher Ängste? Wie sollte
er eine Wärme beschreiben, die nichts mit Temperaturen zu tun hatte, oder
Stimmen, die ohne Worte auskamen? Sollte er ihnen gar von Elena erzählen, deren
Nähe er ebenso gespürt hatte wie die seines Bruders Sebastian? In ihrer Welt,
die jetzt auch wieder die seine war, war all das ebenso
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