NOVA Science Fiction Magazin 20
Benedict begriff, worauf der Besucher hinauswollte.
„Diesmal
liegt ihr daneben“, erwiderte er mit – wie er hoffte – fester Stimme. „Ich
weiß, dass ich nicht an Elenas Tod schuld bin.“
„Bestimmt
weißt du das“, erwiderte der Junge lächelnd. „Aber glaubst du es auch?“
Natürlich , wollte Benedict sagen, aber da
wurde ihm plötzlich klar, dass es so einfach nicht war. Selbst wenn er sich
objektiv nichts vorzuwerfen hatte, bedeutete das noch lange nicht, dass er
innerlich frei war. Nichts war vergessen und vergeben ...
„Ich
weiß es nicht“, antwortete er zögernd. „Aber seit wann interessieren sich KIs
dafür, was Menschen glauben?“
„Das
tun wir nicht“, korrigierte ihn der Junge. „Wir analysieren und ziehen daraus
unsere Schlussfolgerungen. Und irgendwann – nicht heute – entscheiden wir,
entscheide ich .“
Benedict
starrte den Jungen verblüfft an und verspürte plötzlich so unwiderstehliches
Zucken in der Zwerchfellgegend, dass er gar nicht anders konnte, als laut
herauszuplatzen. Das Gelächter strömte aus ihm heraus wie Wasser aus einem
geborstenen Rohr, schüttelte ihn durch und trieb ihm die Tränen in die Augen.
Das war er also, der Gott der Maschinen … ein neunmalkluger Dreikäsehoch, der
vermutlich nicht einmal ein Taschentuch bei sich hatte, um sich die Nase zu
putzen …
Pater
Benedict krümmte sich vor Lachen und schnappte zwischendurch keuchend nach
Luft, während er mühsam um Fassung rang. Sein Gelächter endete schließlich in
einem Hustenanfall, der ihm beinahe den Atem nahm, bevor er abebbte. Betreten
wischte sich Benedict die Tränen aus dem Gesicht und wich dem Blick des
Besuchers aus, der seinen Ausbruch mit ruhigem Interesse beobachtet hatte.
„Tut
mir leid“, murmelte Benedict verlegen. „Aber das ist schon eine etwas …
ungewöhnliche Situation.“
„Zweifellos.“
Der Junge zuckte mit den Schultern. „Aber jetzt sollten wir uns nicht länger
aufhalten. Das Zeitfenster für den vereinbarten Besuch ist relativ schmal.“
Benedict
nickte und beeilte sich, dem Besucher zu folgen, der bereits losmarschiert war.
„Warum
eigentlich die Kapelle?“ fragte er nach einer Weile, ohne seinen Begleiter
anzusehen.
„Das
hat weniger religiöse als praktische Gründe“, erwiderte der Junge. „Es ist ein
abgelegener Ort, an dem kaum Störungen zu erwarten sind. Die Transfertechnik
ist relativ aufwendig.“
Was
für ein Transfer? dachte Benedict verunsichert, fragte aber nicht weiter nach. Dennoch wuchsen
seine Zweifel. Wenn das Verfahren technisch derart aufwendig war, wie sollte es
dann bei ein paar Milliarden Menschen funktionieren?
„Normalerweise
müssen nur die Erinnerungen vervollständigt werden, bevor die jeweilige Kopie
aktiviert wird“, erklärte der Besucher, als hätte Benedict die Frage laut
gestellt. „Ein kompletter Bewusstseinstransfer ist wesentlich aufwendiger.
Schließlich handelt es sich nicht um eine Simulation, auch wenn du den
Unterschied kaum bemerken wirst.“
„Und
was ist mit dem Interface?“ Benedict tastete nach dem Päckchen mit dem Gerät,
das er vorsichtshalber eingesteckt hatte.
„Mach
dir darum keine Gedanken.“ Der Junge lächelte. „Du bist unser Gast. Also
kümmern wir uns auch um alles Notwendige.“
Sie
hatten das bewaldete Areal hinter sich gelassen, und der Weg wurde schmaler und
steiler. Die Sonne brannte vom Himmel herab, und Benedict registrierte
verblüfft, dass die Gestalt des Besuchers tatsächlich einen Schatten warf. Die
Projektion war in jeglicher Hinsicht perfekt – falls es überhaupt eine war und
nicht etwas, das nur er allein sehen konnte …
Er
schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich darauf, ruhig und regelmäßig
zu atmen, während sie den gewundenen steinigen Pfad aufwärts stiegen. Es war
jetzt nicht mehr weit, auch wenn sich ihr Ziel noch hinter den Felswänden des
Gipfelmassivs verbarg. Pater Benedict begann zu beten, lautlos und ohne die
Lippen zu bewegen. Der Fluss der vertrauten Worte beruhigte ihn ein wenig und
drängte seine Ängste in den Hintergrund.
Schneller
als erwartet erreichten sie den Einstieg in das Felsmassiv und traten in den
Schatten des Durchgangs ein. Der Junge ging voran, als wäre ihm der Weg zur
Kapelle von jeher vertraut, und Benedict hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
Als
sie den Felsspalt passiert hatten und hinaus ins Freie traten, schloss er einen
Augenblick lang geblendet die Augen. Die Sonne stand mittlerweile fast
senkrecht
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