NOVA Science Fiction Magazin 20
legte ihr den Arm um die
Schultern. Dabei baute sich das Bild von Lisas Profil vor mir auf. Lisas Linien
sind viel feiner als die von Eva.
Eva
blickte auf meinen Arm und konnte so nicht verbergen, wie sehr diese Geste sie
überraschte.
„Bitte
Liebling, lass den Quatsch”, säuselte ich, so zärtlich ich konnte.
Sie
sah mir kurz direkt in die Augen, versuchte zu lächeln. Doch ihre Lippen
verrieten kein Glück, keine Freude.
„Ich
werde es nicht mehr tun, Liebling.”
Ich
wollte ihr sagen, dass das Problem nicht in ihrem Drang lag, sich selbst zu
verletzen. Das war nur das Symptom einer Krankheit, die ich nicht diagnostizieren
konnte. Wir hatten keine Geldsorgen, unsere Existenz war gesichert. Und doch …
die Verifizierung, so schien es, brach die Dämme in manchen Menschen, und
stinkender Seelenschlamm schwemmte heraus.
Ich
gab Eva einen Kuss auf die Wange, stand auf und schleppte mich – müde und von
der Arbeit ausgelaugt – zur Couch; nahm die Fernbedienung in die Hand,
schaltete den Fernseher ein.
In
Köln und Aachen war es zu Demonstrationen von Atheisten gekommen, die gegen die
politischen Entwicklungen seit der Verifizierung protestierten. Eine Gruppe
bibeltreuer Christen stellte sich ihnen in den Weg. Militante Atheisten
versuchten schließlich, sie in Handgreiflichkeiten zu verwickeln. Es gelang
ihnen nicht. Nicht nur das Gebot, dem Feind auch die andere Wange hinzuhalten,
hielt sie friedlich; auch das Wissen, im Tod einen Neubeginn zu erleben, nahm
ihnen jeden Drang, sich der Gewalt zu widersetzen.
Im
Anschluss gab es eine Direktschaltung nach Washington. Präsident Plan hatte
vor wenigen Augenblicken in einer Pressekonferenz verlauten lassen, man werde,
um einer rechtschaffenen Gesellschaft den Weg ins Paradies zu ebnen, einen
Trupp Elitesoldaten mittels Focus 10 ins Paradies senden. Sie sollten dort,
unter Verwendung der modernsten Waffentechnik, eventuell ansässige Terroristen
ausfindig machen und vernichten.
Am
Morgen berichtete Lars, Miller wolle mich umgehend sprechen. Ich schickte ihn
weg und sank, als die Tür sich schloss, mit dem Kopf auf den Schreibtisch. Nach
einigen Momenten, in denen ich meinen Körper ruhig zu halten versuchte, um
einen besonnenen Blick dafür zu bekommen, wie ich Eva wieder zu Verstand
bringen konnte, klingelte das Telefon, und auf dem Display erschien die
Hausnummer von Miller. Ich war versucht, den Apparat zu packen und gegen die Wand
zu schleudern. Stattdessen holte ich tief Luft und hob ab.
„Ja,
bitte?”
„Sie
müssen mir die Verantwortung für Lisa wieder übergeben!”, verkündete Miller
ohne Umschweife.
„Warum
sollte ich?”
„Stellen
Sie sich doch nicht dumm – es ist offensichtlich, dass Sie keine Fortschritte
in der Behandlung erzielen!”
„Ach
ja?”
„Im
Kollegium wird bereits getuschelt.”
Das
war eine Lüge; Lisa war – zumindest vorläufig – ausschließlich meine Edukantin.
Niemand anders war mit ihrem Fall vertraut, von Professor Jung abgesehen.
„Miller,
was wollen Sie? Geht es Ihnen um ein Revanchefoul, weil Frau Traut Ihnen eine
verpasst hat?”
Kurz
herrschte in der Leitung Stille. Dann fing Miller sich und überspielte meine
Spitze mit falschem Lachen. „Ein Revanchefoul, wie Sie sagen, liegt nicht in
meiner Natur. Ich arbeite professionell und lasse Emotionen außen vor.”
Kalt
wie Polarschnee, stimmt. „Ihnen geht es doch gar nicht um die Edukation. Es
geht hier einzig und allein um Ihr Ego!”
„Nein,
tut es nicht. Kevin, wollen Sie mir wirklich nicht die Möglichkeit geben, Ihre
Unzulänglichkeit in diesem Fall zu ergänzen? Ich schätze Sie als Kollegen,
Kevin, und ich will Ihnen nur helfen. Denken Sie doch an die Probleme, die auf
Sie zukommen, sollten Sie bei der Edukation versagen! Tun Sie sich und mir den
Gefallen. Unter Kollegen. Unter Freunden.”
Seltsamerweise
hatte ich den Impuls, ihm zuzustimmen. Lisa Traut war vielleicht tatsächlich
eine Nummer zu groß für mich. Miller war als Edukator eiskalt. Eben aus genau
diesen Gründen konnte und wollte ich Lisa nicht in seine Hände geben.
„Sie
sind nicht mein Freund”, sagte ich und legte auf. Kaum hatte ich Luft geholt,
klopfte es an der Tür und Lisa hüpfte herein.
„Sie
klopfen ja!”, sagte ich.
„Bob
hat geklopft!”
Natürlich.
Bob war Wärter. Lisa war Insassin und durfte sich innerhalb des Instituts nur
in Begleitung bewegen. Sie musterte mich. „Sie sehen schlecht aus”, sagte sie.
Dito.
Lisas rote Lippen stachen
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