NOVA Science Fiction Magazin 20
abgestanden. Staub gab es zuhauf, ich musste ein Niesen
unterdrücken. Zugleich schmunzelte ich über meine eigene Paranoia. Ein Niesen
konnte kaum bis auf den Flur dringen.
Inmitten
von allerlei Gebrauchsgegenständen, die im Alltag der Edukator Ultra anfielen –
Schreibutensilien, Waschmittel, Medikamente –, musste ich mich erst
zurechtfinden. Schließlich fand ich hinter einer Regalwand einen an die Wand
montierten Kasten von dem Aussehen einer Sicherungsbox. Als ich ihn öffnete,
erblickte ich etwa zwei Dutzend an Haken gehängter Schlüssel. Unter den
Schlüsseln klebten winzige Zettel, auf denen die Schlüssel-IDs notiert waren.
Über diese konnte ich den gesuchten Schlüssel ausfindig machen. Ich steckte ihn
ein und verließ den Lagerraum. Vorsichtig blickte ich mich um, dann ging ich in
Richtung Ostblock. Als ich um die Ecke bog, stieß ich fast mit Miller zusammen.
Ich
versuchte, mein Unbehagen darüber, ausgerechnet ihm hier zu begegnen, zu
überspielen; auch er war im ersten Moment verblüfft. Doch dann fing er sich und
fixierte meinen Blick.
„Haben
Sie sich verlaufen, Kollege?”
Mir
war, als würde der Schlüssel in meiner Hosentasche merklich wachsen.
„Tatsächlich, ja. Ich muss derart in Gedanken gewesen sein, dass ich in den
falschen Gang abgebogen bin.”
Miller
grinste süffisant. „Ja ja.”
Sein
Gehabe machte mich wütend. Ich nickte ihm zu und wollte an ihm vorbeigehen. Er
legte mir die Hand auf die Schulter. „Sie wissen doch sicherlich, dass Sie Frau
Traut umgehend operieren müssen, wenn Sie nicht sehr schnell Fortschritte
erzielen.”
Das
war sogar noch untertrieben. Die Lobotomie sollte, so verlangten es die
Anweisungen, bei jedem latent ungehorsamen oder nach gesellschaftlichen
Maßstäben perversen Menschen Anwendung finden. Das war eine absurd offene
Formulierung und damit ein Freifahrtschein für Menschen wie Miller. „Überlassen
Sie mir gefälligst, welche Behandlungsmethoden ich als notwendig erachte!”,
fuhr ich ihn an.
Mein
Ausbruch überraschte mich, doch Miller wirkte nicht beeindruckt. „Natürlich
Kollege.”
„Gut.”
Ich wandte mich um.
„Doch
Sie müssen verstehen, dass ich mich, sollten mir Ihre Behandlungsmethoden …
suspekt vorkommen, an Professor Jung wenden muss.”
Mir
wurde heiß, und ich drehte mich um. „Gar nichts werden Sie machen, Miller!”
„Wenn
Sie sie nicht lobotomisieren, wird es eben jemand anders machen müssen. Zum
Beispiel ich”, sagte Miller und zeigte mir die Zähne.
Ich
stürzte vor, packte den überraschten Miller am Jackett und schleuderte ihn
gegen die Wand. „Wenn Sie Lisa anrühren, sind Sie tot!”
In
seinem Gesicht zeigten sich Angst und Hass zu gleichen Teilen. „Lassen Sie mich
los, Sie Wahnsinniger!”
Ich
hämmerte ihn erneut gegen die Wand. „Tot!”
Bebend
ließ ich von ihm ab, ging zurück in mein Büro und wählte die Nummer der für
Lisa zuständigen Dienststelle.
Lisa
kam kurz darauf, von Bob hergeführt, grinsend in mein Büro. Ein Blick in mein
Gesicht genügte, um sie zu sorgen. Sie sank auf den Stuhl und musterte mich..
„Alles
in Ordnung, Kevin?”
„Lisa,
du musst mir jetzt genau zuhören.“
Lisa
und ich sprachen kaum zehn Minuten. Draußen sollte Bob sie in Empfang nehmen
und zu ihrer Kabine abführen. Sie stand auf, drehte sich noch einmal zu mir um,
ergriff meine Hand und flüsterte: „Du hast was gut bei mir.”
Als
sie die Tür öffnete, warf sie mir über die Schulter ein letztes Lächeln zu, sah
mir dabei tief in die Augen und prallte geradewegs gegen Lars.
Ich
erzählte Lars, ich wäre zu einem mehrtägigen Seminar als Gastdozent geladen,
und gab ihm den Rest der Woche frei. Fast ekelte ich ihn aus dem Büro, dann
verließ ich langsam, um kein Aufsehen zu erregen, das Institut und ging zum
Parkplatz.
Auf
der Fahrt nach Hause rasten meine Gedanken. Besorgte mich schon lange der Zerfall
meiner Familie, so kam nun hinzu, dass ich der Einzige war, der Lisas Lobotomie
verhindern konnte. Ich musste es Eva erklären, vielleicht würde sie mich ja
verstehen. Aber ich konnte sie beim besten Willen nicht alleine lassen. Zu
labil erschien sie mir, zu sehr stand unser gemeinsames Leben auf dem Spiel.
Während
die Nacht an mir vorbeirauschte, legte ich mir die Worte zurecht, mit denen ich
Eva überzeugen wollte, mit Tim eine Weile zu ihrer Mutter aufs Land zu fahren.
Vielleicht, so hoffte ich, wäre sie dort sogar ein wenig isoliert von den
Wandlungen, die die
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