NOVA Science Fiction Magazin 20
gravierenden
Erinnerungslücken. Viele Beseelten hatten Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis
oder - in Ermangelung eines natürlichen Gehirns - mit dem Denken an sich ...
Ninive würde den Rucksack also wohl oder übel suchen müssen, so wie immer.
Nicht selten erwartete sie dabei noch eine unangenehme Überraschung, denn er
sammelte gern. Oft fand sie ihn voller fleischfressender Pflanzen, giftiger
Schlangen, stinkender Käfer oder noch seltsamerer Dinge wieder. Manchmal kam es
sogar vor, dass sie ihn sich mit dem ganzen Kriechgetier gedankenverloren
wieder aufsetzte ...
Nachdem
Ninive eine windgeschützte Stelle gefunden hatte, legte sie sich ins Gras und
suchte das Flussufer und die tiefergelegenen Hänge mit dem Fernglas ab. An der
Flanke der gegenüberliegenden Hügelkette graste eine Herde Makula-Tiere. Jedes
von ihnen hatte sechs spindeldürre Metallbeine und ein riesiges, langsam in
ihrem Körper rotierendes Zahnrad, das ihnen wie ein Drachenkamm aus dem Rücken
ragte. Ihre Vergaser stießen in regelmäßigen Abständen kleine Rauchwolken aus,
die in der Höhe zu einem nach Maschinenöl und heißem Metall stinkenden
Dunstschleier verschmolzen. Mit ihren nagelgespickten, wie Fresswalzen
rotierenden Kiefertrommeln weideten sie den Talgrund ab und hinterließen dabei
meterbreite Schneisen im Gras. Diese ähnelten jedoch in keiner Weise der
geheimnisvollen Schleifspur, die kreuz und quer durch das Hochland führte.
Um
Ninive herum wurde es plötzlich eine Nuance dunkler, fast so, als hätte sich
eine Wolke vor die Sonne geschoben. Sie setzte das Fernglas ab, um einen Blick
in den Himmel zu werfen, und nahm aus dem Augenwinkel heraus einen mächtigen
Schatten neben sich wahr. Im Liegen wirbelte sie herum, ihre abwehrend empor
gestreckten Hände trafen auf etwas Kaltes, Metallisches. Innerhalb eines
Wimpernschlages erstarrte das, was sich ihr lautlos bis auf eine Armlänge
genähert hatte, und rührte sich nicht mehr. Dennoch beeilte sie sich, rückwärts
von dem regungslosen Ungetüm davon zu kriechen. Als der erste Schreck sich
gelegt hatte, stieß Ninive die angehaltene Luft aus und erhob sich. Dann ging
sie neugierig um das fremde Ding herum und betrachtete es von allen Seiten. Es
war kein verirrtes Makula-Tier, so viel war sicher, aber auch keines der
anderen Hochland-Geschöpfe. Zwar sah es nicht besonders gefährlich aus, doch
allein seine Monstrosität machte es zu einer Bedrohung.
Das
seltsame Ding war gut zwanzig Fuß lang und hatte einen gedrungenen
zylinderförmigen Körper mit einem turmartigen Aufbau, der an einen Kamin
erinnerte. Vom Boden bis zu seiner Spitze waren es gut neun oder zehn Fuß.
Womöglich hatte es einst als Brennofen gedient oder als Tank für Gase oder
Flüssigkeiten. Aber das musste lange her sein, denn die ehemals wohl leuchtend
rote Farbe hatte sich in eine nahezu schwarze, von teils faustgroßen Rostblasen
entstellte Kruste verwandelt. Der tonnenartige Körper bestand fast vollständig
aus Metall, lediglich das vordere Ende war aus dickem, transparentem Kunststoff
gefertigt und erinnerte an ein riesiges Bullauge. Ninive beugte sich hinab und
versuchte, einen Blick ins Innere zu werfen, doch die Oberfläche war zu
zerkratzt, um dahinter etwas erkennen zu können. Statt auf Beinen stand das
Ungetüm auf zwei langen, dicken Kufen, welche just jene Art von Furchen im
Boden zurückließen, die sich durch das Tal zogen. Irgendetwas an dem Koloss kam
Ninive vertraut vor. Sie hatte etwas Derartiges schon einmal gesehen, aber ihr
wollte nicht einfallen, wann und wo.
Unentschlossen
kaute sie auf ihrer Unterlippe, dann trat sie heran und legte eine Handfläche
an den riesigen Körper. Als das Metall unter ihren Fingen zu erzittern begann,
brachte sie rasch ein paar Meter Abstand zwischen sich und das Ungetüm.
hoffend, dass es sich nicht ausgerechnet von Menschen ernährte oder mit
giftigen Pfeilen schoss.
Der
reanimierte Metallkoloss schüttelte sich träge und schien sich umzusehen, als
müsse er sich orientieren. Dann begann er auf seinen Kufen über den Boden zu
robben wie eine riesige, fette Insektenlarve, wobei er sich von Ninive
fortbewegte. Etwa zwanzig Schritte entfernt verharrte er schließlich. Ninive
hoffte, dass er aus Respekt auf Distanz gegangen war und nicht, um Anlauf für
einen Angriff zu nehmen. Womöglich war er aus einem fernen Land eingewandert,
nachdem er für seinen einstigen Besitzer nutzlos geworden war. Allerdings
schien er mit seiner gewonnenen Freiheit
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