NOVA Science Fiction Magazin 20
nicht viel anfangen zu können. Blieb
die Frage, ob es Anhänglichkeit oder Einsamkeit war, die ihn dazu getrieben
hatte, ihre Nähe zu suchen - oder der Hunger auf Menschenfleisch.
„Kannst
du sprechen?“, rief sie, als das Ungetüm sich längere Zeit nicht geregt hatte.
„Sprechen“,
wiederholte es mit monotoner, blecherner Stimme. Ninive konnte nicht erkennen,
wie es die Worte erzeugte und woher sie kamen. Es wippte mit seiner
Bullaugenschnauze ein paar Mal auf und ab, dann fragte es: „Genetrix?“
Ninive
blinzelte den Metallkoloss irritiert an. „Was?“
Zu
ihrer Verwunderung robbte er nun langsam heran, bis er nur noch zehn Schritte
von ihr entfernt war. „Genetrix?“, wiederholte das Ungetüm, wobei Ninive das
Gefühl hatte, es starre sie an.
„Bist
du hungrig?“, fragte sie.
Ihr
massiges Gegenüber schwieg einen Moment, als müsse es scharf nachdenken, dann
fragte es erneut: „Genetrix?“
„Du
lieber Himmel ...“ Ninive ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen, doch
nirgendwo war ein weiterer dieser Apparate zu sehen. Der niedrige Sonnenstand
bewog sie schließlich dazu, den Rucksack einzusammeln und sich auf den Heimweg
zu machen. Das Ungetüm schien zwar ein bizarrer, aber harmloser Eindringling zu
sein, bei dessen Beseelung offenbar etwas gehörig schief gelaufen war. Sobald
Ninive sich ihm näherte, robbte es rückwärts von ihr fort. Blieb sie stehen,
hielt es ebenfalls inne, doch kaum wandte sie sich ab, um ihren Marsch
fortzusetzen, machte es kehrt und folgte ihr wieder. Erst nachdem sie die
Tiefebene erreicht hatte, ließ es sich langsam zurückfallen. Als sie sich ein
letztes Mal umsah, war zu ihrer Verwunderung weit und breit nichts mehr von ihm
zu sehen.
Ninives
Domizil stand im Zentrum eines kleinen Laubwaldes, der das gesamte Anwesen wie
ein natürlicher Schutzwall umschloss. Noch bevor sie den gepflasterten Weg
durch den Garten erreicht hatte, öffnete sich die Haustüre, und Luxas ewiges
Licht erschien im Eingang.
„Willkommen
zuhause, Ivi!“, begrüßte sie Clogger, nachdem Luxa die Tür hinter ihr
geschlossen hatte. „Wir schreiben Tag 154 im Jahr 23.911 des ewigen Kalenders.
Die Lufttemperatur beträgt 102,7 Grad Solens, es geht ein leichter Nordostwind,
und die Strahlung betrug bei Sonnenaufgang 3.398,2 Thon.“
„Danke,
mein Guter.“
„Stets
zu Diensten!“ Clogger vollführte eine halbe Pirouette und begann über den Flur
zu taumeln. Seit Jahren haderte Ninive mit sich, ob es nicht ein Fehler gewesen
sein mochte, ihn zu beseelen. Eine Standuhr war eindeutig nicht zum Laufen
konstruiert. Mit gemischten Gefühlen beobachtete Ninive, wie Clogger auf seinen
vier winzigen Holzbeinen vor ihr her trippelte. Ständig musste sie dabei das
Bedürfnis unterdrücken, nach vorne zu springen und ihn aufzufangen, so sehr
schwankte er hin und her.
„Ist
etwas Besonderes passiert, während ich weg war?“, fragte sie.
„Keine
Vorkommnisse der Kategorie 1“, antwortete Luxa, eine ehrwürdige Stehlampe, die
sich auf ihrem Bronzefuß nur hüpfend fortbewegen konnte. „Es gab wieder einige
Lichterscheinungen auf der Mauer. Clogger glaubt, sie stammen von Kristallen,
die das Sonnenlicht reflektieren. Ein Feder-Dool hat sich gestern im Keller eingenistet,
und Guss glaubt, heute Morgen einen Schwarm Feuerasseln gesehen zu haben.“
„Es
waren Zikaden, keine Asseln!“, rief Guss aus dem Kaminzimmer. „Zikaden!“
„Na,
meinetwegen“, murmelte Luxa und stellte sich in ihre Ecke.
Clogger
nahm die Kurve zur Küche so rasant, dass er für einen Moment in bedrohliche
Schräglage geriet. Ninive hielt schützend die Arme auf, doch da hatte er sich
bereits wieder gefangen. Irgendwann, so befürchtete sie, würde er das
Gleichgewicht verlieren und umkippen.
„Wo
Feuerzikaden schwärmen, ist der Sommer nicht fern“, erklang hinter ihr die
brummige Stimme von Guss. „Alte Heizerweisheit.“ Er kam rasselnd und klappernd
auf sie zu gewatschelt, wobei er eine Spur aus Ruß auf dem Flurboden
zurückließ.
„Du
sollst doch dein Rohr nicht aus dem Kamin ziehen!“, tadelte Ninive den Ofen.
„Ständig muss Wipp deinen Schmutz aufkehren.“
„Wipp
ist krank“, rief Luxa. „Hatte ich vergessen zu sagen, entschuldige.“
Ninive
verdrehte die Augen. Kaum war sie zwei Tage aus dem Haus, spielte das gesamte
Inventar verrückt.
„Ich
bin hungrig, Ivi“, klagte Guss und klapperte mit seiner Heizluke. „Füttere
mich!“
„Wir
haben keine Kollektor-Kerne mehr
Weitere Kostenlose Bücher