Nova
versetzte Rhomben, aus denen graue Fäden hingen. Die Rhomben waren innerhalb eines ovalen Tores symmetrielos angeordnet und boten ein chaotisches Bild. Ich wußte beim besten Willen nicht zu erklären, weshalb Leo diese Elemente als Schleusen bezeichnete.
»Die Spannung geht bis viertausend Volt, die Stromstärke hingegen liegt bei null-Komma-eins bis null-Komma-neun Ampere. Mit den Anzügen können wir die Schleusen gefahrlos passieren. Bisher war kein Risikofaktor festzustellen, aber Vorsicht bleibt geboten. Die Zustände können sich ändern.«
»Diese skurrilen Elemente reagieren also zeitlich versetzt«, warf Lech ein und kratzte in seinem Bartgestrüpp. »Wir müßten für die Aktivität eine Gesetzmäßigkeit ermitteln. Und was ist mit diesen Fäden?«
Leo und Ebell zuckten mit den Schultern.
»Wir haben Parasonics aufgestellt, aber es waren nur unsere vier vorhanden. Der Computer schweigt sich aus. Zu wenig Fakten. Und die Fäden – wir haben ein paar für die Analyse entfernt –, sie bewegen sich bei Stromfluß, aber auch ungeordnet… oder nein, eher hatte ich den Eindruck, sie schwimmen wie Tang in leichter Meeresströmung. Wir wissen damit nichts anzufangen.«
Wenn man nur wüßte, woher diese Konstruktion ihre Energie bezieht, überlegte ich. Ein Raumschiff muß eine zentrale Versorgung oder zumindest eine Art Speicherkapazität besitzen. Sicher werden andere Lebewesen Besseres gefunden haben als wir mit unseren Nucleo-Plasma-Meilern. Ich war nicht so vermessen, den Unbekannten die gleiche technologische Entwicklung anzuhaften wie die irdische – aber was war möglich? Gravitation, Antimaterie, Solarenergie? Wir wußten es nicht – das war unser Problem. Hätten wir die seit einiger Zeit wieder unkontrolliert fließende Energie abschalten oder zumindest beeinflussen können, wäre unsere Arbeit sicherer geworden. So aber irrten wir wie Blinde im Wrack umher, stets der Gefahr des Unvorhergesehenen ausgesetzt. Die außerirdische Konstruktion lag auf VESTA – abgestürzt oder notgelandet, das hatten wir nicht herausgefunden – bereits länger als vierhundert Jahre. Und hin und wieder zeigte sie uns, daß sie nicht völlig funktionsuntüchtig geworden war, wie wir anfangs mit absoluter Gewißheit angenommen hatten.
Naiv wie spielende Kinder waren wir an die Untersuchung herangegangen, als gäbe es nur uns und nichts anderes.
Wenn ich heute naiv sage, bedeutet das nicht, daß wir uns damals im wörtlichen Sinne so benahmen. Wir arbeiteten voller Ernst, bemüht um Logik und Planmäßigkeit, soweit das unter den Umständen möglich war. Naiv? Man möge mir das Wort verzeihen; vielleicht ist es besser, ich spreche von unwissend.
Stranger, unser Spaßvogel, hatte unsere Unwissenheit mit dem Leben bezahlt. Vier Wochen war das nun schon her. Ich war nicht dabeigewesen, aber es hätte jeden von uns treffen können…
Die Bilder seines Leichnams werden für immer in meinem Gedächtnis haften. Ein verkohlter Körper, zusammengeschrumpft, merkwürdigerweise das Gesicht noch erkennbar mit einem erstaunten Ausdruckend der stummen, anklagenden Frage nach dem Warum.
Es war mir schwergefallen, in der HTA meine Gefühle preiszugeben. Wer gibt schon gern zu, daß er Haß empfindet und aggressive Wut, die doch gar nicht verstandesbedingt waren. Haß worauf? Auf totes Metall? Auf Strangers Leichtsinn?
Ich war blind und taub gewesen.
Was ich der Maschine anvertraute und mir selbst eingestand, war nur blättrige Tünche, nicht die Erkenntnis meiner wirklichen Gefühlsregungen. Das habe ich erst durch den Kontakt mit Eileen erkannt. Mein durchaus ehrlich gemeinter Zorn war Verstimmung und Unbehagen über mich selbst und uns. Wir, auch ich, beschnitten unsere Gefühle, hielten innere Regungen mit Gewalt zurück. Trauer wurde zu Sachlichkeit transformiert und zu der Überlegung, wie wir solche Unfälle in Zukunft vermeiden konnten. Wir entwarfen Vorsichtsmaßregeln und neue Sicherheitsbestimmungen.
Kann der Mensch nicht einfach Mensch sein? Kann er nicht auch nach außen so sein, wie er tief im Inneren empfindet? Wozu muß er seine Seele in eine strenge Form gießen, die nicht mehr seinem Wesen entspricht? Diesen Zwang habe ich längst abgestreift, doch damals war ich nicht anders als meine Gefährten.
Ich weiß, es klingt brutal, aber ich will nichts beschönigen. Kalt und logisch reagieren, das sind Grundeigenschaften von Maschinen, nicht die von denkenden, fühlenden Menschen. Ja, ich gab mir auf VESTA Mühe, kühl und
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