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Nova

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Titel: Nova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Kober
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ergab die Gefühlsregung ›Hilfe‹. Wie, wenn das nicht Shamirs eigene Angstreaktion, sondern eine Art bioplasmatischen Notrufs der Konstruktion war?«
Ich staunte – leider nur über ihren Mut, nicht über ihre Fähigkeit zu derart ungewöhnlichen Gedankenkombinationen.
Erregtes Stimmengewirr unterbrach sie. Mit ihren letzten Sätzen hatte sie die Grenze der wissenschaftlich erlaubten Phantasie überschritten. Ihre Hypothesen stießen nun auf energischen Widerspruch; sie waren absurd. Vielleicht hätte auch ich mich an dem Proteststurm beteiligt, wäre mir nicht Nelsons selbstzufriedenes Gesicht aufgefallen, dieses süffisante Lächeln. Er erkannte ganz genau, daß die heftige Debatte sich im Detail verlieren und an Eileens Anliegen vorbeigehen würde. Das war ihm nur recht.
Heute bedaure ich es – ich scheute davon zurück, mich offen auf ihre Seite zu stellen, und zeigte nur eine Art stummer Solidarität. Zu mehr konnte ich mich nicht durchringen. Wir gingen einen sicheren Weg – verdammt, war er denn wirklich sicher? Wir wählten das geringste Risiko und würden – früher oder später – unser Ziel erreichen. Das war beschwerlich, zeitraubend und unökonomisch und vergällte einem die Lust an der Arbeit, weil ununterbrochen angewandte Kleinlichkeit und Wiederholung auf den Nerv geht. Aber es war doch ein erprobter Weg. Spontanität, Risikobereitschaft, unkonventionelles Vorgehen bargen Verantwortungslosigkeit in sich und steigende Unsicherheit. Wer konnte einschätzen, ob sich dabei ein Erfolg einstellen würde? Diese Überlegungen waren es, die mich damals daran hinderten, Eileens Partei zu ergreifen, und sicher erging es anderen ebenso. Wohl spürte ich Unmut und wachsende Ungeduld in mir, aber sie waren leider zu schwach, als daß sie sich Bahn gebrochen hätten. Ich wollte mir einfach nicht eingestehen, daß wir, nach wochenlanger, mühseliger Arbeit, wie hilflose Kinder im dunkeln tappten, unfähig, auf unserem Weg zu begreifen und Zusammenhänge zu verstehen. Das erkannte ich erst viel später.
Also stand Eileen allein, wir gefielen uns in unserer Uneinsichtigkeit und maßen ihren eigenwilligen Gedankenspielen keinen Wert bei. Wir hätten sie sprechen lassen sollen.
Ich weiß noch, einen Moment lang hatte ich das Gefühl, in unserer Reaktion schwinge ein Stückchen männlicher Eitelkeit mit. Das war der Augenblick, in dem ich etwas zu ihrer Unterstützung sagen wollte, aber da kam wieder der dicke Kloß hoch, der mir den Mund verstopfte. Sie sollte nicht denken, daß ich etwa aus Sympathie ihr gegenüber das Wort ergriff, vielleicht, um ihr zu schmeicheln, um mich bemerkbar zu machen und mich auf ein erhöhtes Podest unter den übrigen Männern zu stellen, um so zu zeigen, daß ich mehr als Kameradschaft für sie empfand.
    Verrückt, nicht wahr? Nun, ein wenig verstehe ich mich; da flossen viele Dinge in einen Brunnen, und ich war nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, was richtig und was falsch war.
    Unsere Diskussion glitt wie von selbst in die Erörterung sachlicher Detailfragen hinein. Eine fruchtlose Debatte, die im Grunde nichts erbrachte. Die Gruppen sprechen über ihre Forschungsergebnisse und deren Deutung und langten schließlich wieder dort an, wo sie angefangen hatten: Wir kamen nicht hinter die Funktionsweise und Zweckbestimmtheit der fremden Konstruktionselemente – geschweige denn zur Erkenntnis der Zielfunktion des gesamten Wracks. Nelson zog nach zwei Stunden den Schlußstrich, bekräftigte noch einmal die Richtigkeit unseres Vorgehens und schärfte uns die verstärkten Sicherheitsvorschriften ein.
Mein Verstand gab ihm recht. Nicht aber mein Gefühl.
    Es erwies sich als umständlich und zeitraubend, jeden Tag zum Wrack und zurück zu fahren. Darum beschlossen wir, nachdem zwei Transporter vom Mars gekommen waren, eine zweite provisorische Station dicht neben dem Wrack einzurichten. Auch die von uns eingebaute Schleuse in der äußeren Wrackzone vergrößerten wir. Es wurden zusätzlich zwei tote Röhren abgedichtet, Licht installiert, Analysecomputer hineingeschafft und ein kleiner transportabler Energiemeiler stationiert. Und eine Menge nützlicher und nutzloser Kleinigkeiten, die uns das Gefühl von Bequemlichkeit vermitteln sollten.
    Es vergingen zwei Wochen, in denen die roten Eintragungen – Ergebnis unserer Untersuchungen – zunahmen. Das Stück Papier war ein Provisorium, an dem wir hingen, aber es war völlig unzureichend. Das Wrack wies keine abgrenzbaren Ebenen auf.

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