Nova
Meter entfernt befand. Lech gab ihm eine Spritze, und Leo wurde ruhiger.
»Ich geh nicht mehr hinein«, murmelte er mit bebenden
Lippen. »Es wird uns alle vernichten.«
»Was ist geschehen? Und Perry! Wo ist Perry geblieben?«
fragte Lech immer wieder.
»Er ist tot… ausgelöscht«, sagte Leo schließlich. »Wir waren
dort, wo Shamir den Schlag bekam. Wir wollten nicht durch den Stalagmitenkreis, gingen außen herum, in die Kugelröhren…« Ein Faden Speichel rann ihm aus dem Mundwinkel. Trotz der Spritze wirkte der Schock fort, er hatte sich kaum unter Kontrolle. »Perry – plötzlich stand er doch in dieser verfluchten Mitte. Es leuchtete und krachte, Entladungen, elektrische Entladungen… und Perry zerfiel. Er löste sich auf, wurde Staub, eine Wolke…« Leo schluchzte auf. »Ich bin wegge
rannt…« Tränen rannen ihm übers Gesicht.
Sein Gesichtsausdruck erschütterte mich mehr als seine
Worte, noch wollte ich nicht daran glauben. Wie konnte dieser
ausgeglichene und energische Mann so rasch die Nerven verlieren? Was war mit ihm geschehen? Darf man davonlaufen
und seinen Kameraden im Stich lassen? Er war vor einer unerklärlichen Erscheinung ausgerissen und hatte sich nur noch
um sich selbst gekümmert. Als es darauf ankam, war er feige
und egoistisch geworden. So sah ich das damals. Ich verstand
ihn nicht mehr. Vor allem glaubte ich nicht an die Wolke, in
die sich Perry aufgelöst haben sollte. Ich wandte mich an Eileen, doch ich sah sie nicht. Im ersten Moment war ich verwundert, weil ich sie dicht bei mir glaubte, aber dann… Sie war –!
Ich raste los.
Eileen war in die Schleuse zurückgegangen, dessen war ich
mir plötzlich sicher. Sie mußte da heraus. Sofort. Ich kurbelte
am Handrad, doch das Schott öffnete sich nicht.
Wir sind darauf trainiert worden, in allen möglichen Situationen schnell und logisch zu überlegen und zu reagieren. Das Gefühl ausschalten, alle Fakten auf einen inneren Zusammenhang durchforschen und augenblicklich Konsequenzen abschätzen. Das ist nicht so schwer, wie man manchmal glaubt. Natürlich ist eine so rasch gefaßte Entscheidung nicht immer richtig, aber sie verhindert Panik und weist vorläufig einen Weg.
Und während man diesem Pfad folgt, stellt sich Ruhe ein und weitsichtigere Überlegung.
Ich fand nur eine akzeptable Lösung – die Schleuse mußte aufgesprengt werden. Nicht warten, keinen Experten rufen, nicht aufschneiden. Nein, sofort und selbst. Haftladungen befanden sich in der Station zwei. Also raste ich zurück, rannte Lech über den Haufen und stürzte wieder zum Wrack. Über Helmfunk gab ich in wenigen Sekunden den Stenobericht meiner Gedanken.
Ein kurzer, heller Blitz, das zerfetzte Schott wirbelte aus der Fassung heraus.
Aber was ich sah, raubte mir jede Klarheit.
Über unsere Geräte ringelten sich unzählige lange Fäden, von der Art, die wir als harmlos und ungefährlich eingestuft hatten. Sie überspannten alles mit einem durchsichtigen Kokon. Ein grauenvoller Anblick. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, einem Tier gegenüberzustehen, aggressiv und heimtückisch zugleich.
Eileen war nicht zu sehen. War sie etwa auch…?
Hinter mir kamen die anderen. Hilflos starrten sie auf das unheimliche Geschehen.
Lech löste Alarm aus; auch für die Hauptstation.
Was ich dann tat, kommt mir heute sinnlos vor, weil mich der Instinkt regierte und mein Mentaltraining, auf das ich so stolz war, versagte.
Ich setzte den Plasmawerfer ein, genau auf die Stelle in der Wandung, aus der die Fadenbündel quollen. Ich erkannte deutlich, daß die Hitze des Plasmastrahls die Fäden nicht vernichtete – aber sie zogen sich zurück und hinterließen uns Chaos und Schrott.
Nun hat dieses Ungeheuer auf uns zurückgeschlagen, dachte ich. Das war natürlich Unsinn, denn Metall besitzt nun einmal keine Fähigkeit zur Abwehr oder gar Aggressivität, doch ich hatte keine bessere Erklärung zur Hand.
Zwei Tote, Eileen verschwunden, die Einrichtung der Schleuse zerstört – und wir standen unwissender vor dem Wrack als am Anfang. Hätte Lech mich nicht mit Gewalt zurückgehalten, ich wäre weiter eingedrungen, um Eileen zu suchen. Leider hatte er recht, ich hätte mich nur gefährdet.
Heute schäme ich mich über unsere kaltschnäuzige, egoistische Analyse, die sich lediglich auf uns und unsere Sicherheit bezog. Nicht noch mehr Menschenleben in Gefahr bringen, das war Lechs Hauptargument, und ich beugte mich ihm. Jedoch – in diesem Kalkül war Eileens Leben nicht
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