Nova
Hölle. Velasco hat recht. Einige Tage faulen Nichtstuns schaden uns nicht. Im Gegenteil.«
Velasco wußte, daß Kyodo nicht zu überzeugen war. Niemand konnte dessen einmal aufgebaute Meinung niederreißen.
Brechendes Geäst riß sie aus dem Gespräch.
Etwas, ein Tier, kam auf sie zu. Noch war es entfernt, doch das Knacken und Stampfen wurde mit jeder Sekunde deutlicher. Dann wurde das Springrind, wie sie diese Gattung getauft hatten, etwa hundert Meter seitlich vor ihnen sichtbar. Jetzt mußte es die Menschen entdeckt und ihren Abwehrduft wahrgenommen haben, mit dem die Anzüge ausgerüstet waren, aber es wich nicht aus, wie sie es bisher gewohnt waren.
In rascher Folge krümmte sich sein muskulöser, alles überragender Schwanz zu Spiralen und schnellte den Rumpf mit dem Rinderkopf auf die drei Männer zu.
Kyodo reagierte als erster. Er hatte den Impulsor bereits auf das Tier gerichtet, bevor er hervorstieß: »Es greift uns an!«
»Unsinn«, erwiderte Narik gelassen. »Diese Spezies gehört zu den Pflanzenfressern. Wartet.« Er schaltete den Infragen, den zusätzlichen akustischen Schutz, ein.
Tatsächlich bockte das Tier, wand sich, aber dann durchbrach es die unsichtbare Mauer und stürmte weiter.
Kyodo schoß. Der erste Strahl verbrannte die Erde vor dem Springrind und, als es durch die Flamme sprang, das Tier selbst. Das Zischen verschmorenden Fleisches drang ihnen ins Ohr.
Tiefes Bedauern erfaßte Velasco, als er die Zuckungen des verendenden Tieres sah. Was hat es nur dazu getrieben, fragte er sich. Den Infraschutz hat noch nie ein Tier durchdrungen.
Von allen Seiten drangen plötzlich Rinder auf sie ein, als wäre der Infragenschild nicht vorhanden.
Die Menschen vernichteten die Tiere. Ihnen blieb keine Wahl. Nicht ein Rind hatte sich abschrecken lassen und war ausgewichen. Wenige Minuten später war alles vorbei.
»Da hast du dein verschlafenes Paradies«, wandte sich Velasco an Kyodo. »Wie auf Bestellung…« Er schüttelte fassungslos den Kopf, traurig über das ihnen aufgezwungene Töten.
»Was kann diesen Angriff ausgelöst haben?« fragte Narik. »Sahen sie in uns eine Bedrohung, oder sie reagieren so in bestimmten Zeiten ihrer Biogenität, der Brunst beispielsweise?«
»Verdammt, ich begreife das nicht«, sagte Kyodo.
Velasco blieb angesichts der Kadaver stumm.
»Was mich am meisten wundert, ist die Tatsache, daß uns die Tiere fast ringförmig eingeschlossen hatten. Ein Plan… ach, Unsinn, das war Zufall«, dozierte Narik weiter.
Ja, das war Velasco auch aufgefallen. Er blickte hinüber. Die Luft flimmerte stark. Nur noch unscharf sah er die Tierleichen. Aufkommende Übelkeit würgte ihn. Auch Narik und Kyodo sahen bleich aus.
»Kommt«, sagte Velasco. »Wir gehen… ich kann es nicht mehr ertragen.«
Keiner verspürte den Wunsch, sich noch einmal umzusehen. Mechanisch lenkten sie ihre Schritte in Richtung Raumschiff. Erst nach vielen Schritten drehte sich Velasco um. Das Flimmern war verschwunden. Auch die Tiere konnte er nicht mehr entdecken. Er atmete tief durch; fühlte sich auf einmal wieder frisch und gesund.
3
»Weshalb antwortet er nicht?« Kyodos Stimme klang unwillig. Die kleinen, eisgrauen Augen, umgeben von dicken Fettpolstern, huschten über den Monitor, der Velascos Standort und Weg markierte. »Er weiß doch, daß wir uns Sorgen machen.«
»Hoffentlich ist ihm nichts passiert.«
»Nein«, erwiderte Narik vom Medotron. »Alle organischen Werte sind normal. Lediglich seine Pulsfrequenz bleibt auf hundertfünfzig.«
»Also muß etwas geschehen sein.«
»Ein Grund mehr, die Verbindung aufrechtzuerhalten«, grollte Kyodo. Doch Velascos Frequenz blieb tot.
Die zwanzig Minuten Wartezeit steigerten Kyodos Zorn und Ashers Sorge. Lediglich Narik blieb ruhig und sachlich.
Sie trafen ihn in der Schleuse.
Kyodos Worte blieben unausgesprochen, als er ihn sah. Kalkweiß, mit blutleeren Lippen, starrte Velasco sie an.
Kleine, sich rasch verflüchtigende Fünkchen Irrsinn blitzten in seinen Augen. Sie spürten die Energie, die er aufbringen mußte, um sich zu beherrschen.
»Kommt mit in den Garten«, forderte er sie auf, als er sich des Anzugs entledigt hatte. Oben angekommen, entnahm er der Freezerbox eine Flasche Alkohol, öffnete sie, setzte sie an den Mund und ließ einige tiefe Schlucke in sich hineinlaufen. Mit dem Handrücken wischte er über die feuchten Lippen, stieß laut auf, ohne sich zu entschuldigen, und fragte übergangslos: »Glaubt ihr auch, daß ich verrückt bin?«
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