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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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»Lassen Sie mich heraus, Herr, ich werde Ihnen oben alles erklären.« Der Schlächter war gar nicht ängstlich, er fühlte nach dem Geld in seinem Rockfutter. Man schrie herunter: »Sind Sie verletzt?« Die Frage schien ihm erfreulich, so antwortete er: »Ja, ich hoffe nicht zu schwer. Am Knie.«
    Nach ein paar Minuten, während derer die Laterne sich entfernt hatte, rief man wieder: »Haben Sie Waffen bei sich?« »Nein. Nur einiges Geld.« Darauf senkte sich die Strickleiter. Er kletterte fröhlich in die Höhe und ließ sich von einer mächtigen Lachsalve begrüßen. Sie betraf unter anderm den greulichen Zustand seiner Kleider. Ihm kam vor, wie er sich im Kreise dieser zehn Männer umsah (eine Frau stellte sich auch ein), als ob er einen und den andern von ihnen schon aus dem Ort kannte. Er bat um Entschuldigung, ihnen Unannehmlichkeiten bereitet zu haben, schilderte seinen Unfall, gab auf Befragen offen zu, daß er auf einem Schleichhandelsweg, leider ergebnislos, gewesen war. Er wollte nun gleich mit den Herrschaften in geschäftliche Verhandlungen eintreten. Aber da zeigten sie sich sehr zurückhaltend. Und kurz und gut, ihm wurde nach einem abseits geführten Gespräch bedeutet, daß er bis morgen, etwa bis gegen Mittag, hier bleiben würde. »Hier, ja warum, wo, in dem Dreck?« »Das nicht.« Man erkundigte sich nach der Höhe des Betrages, den er bei sich führte; er gab eine nach unten abgerundete beträchtliche Summe an. Dann teilte man ihm befriedigt und freundlich mit, daß man ohne Anwesenheit von zwei gewissen Personen in der Angelegenheit hier leider nichts machen könne. Und man ging mit ihm noch etwa zehn Minuten durch den Wald, stieg dann irgendwo plötzlich einige Erdstufen abwärts und war bald unter dem Rasen in einem von Brettern gestützten, leidlich warmen Raum, der freilich stark verqualmt war. An den Raum schlossen sich mehrere andere, weniger warme, aber stärker verqualmte an. Man sagte dem Schlächter, daß dieser Raum etwas höher als die andern liege, infolgedessen zöge sich der Rauch hierher. Zu ihrem Leidwesen müßten sie ihn grade in dem letzten, am höchsten gelegenen Raum unterbringen, wo noch zwei andere schliefen. Nun, er mußte sich trösten, wer zuletzt kommt, mahlt zuletzt. Der Schlächter klagte: »Da kann man ja ersticken.« Man beruhigte ihn: »Katarrhe kriegen wir alle, aber zu einer direkten Erstickung kommt es niemals.«
    Leicht verräuchert, aber dennoch ausgeschlafen nach einem soliden Abendessen kroch er morgens mit seinen beiden Leidensgefährten, den jüngsten Angehörigen der Horde, aus seinem Heulager in die vorderen, gewissermaßen Gesellschaftsräume. Dort wurde wunderbarer Kaffee in richtigen Tassen serviert, und man saß zu sechs faul um den Tisch auf Bänken herum. Die junge Weibsperson, die noch keine zwanzig Jahre war, vielleicht achtzehn, vielleicht noch jünger, feuerte den eisernen Ofen mit feuchten Holzkloben, die als Hauptübeltäter, nämlich als Qualmer allseitig beschimpft wurden, aber man konnte nichts dagegen machen, sie wurden in diesem Zustand von der Natur geliefert. Sie hatten auch Rotwein und Zigaretten; wer wollte, verlangte sie; der Schlächter bemerkte, daß das Mädchen alles aufschrieb; es war hier ein richtiger Schankbetrieb. Der Schlächter, abgesehen von einem quälenden Hustenreiz, befand sich recht wohl.
    Zu seinem Wohlbefinden trug auch der Gedanke bei, daß sich seine Familie jetzt schrecklich um ihn sorgte, der Unfall verschaffte ihm eine Wertsteigerung. Er selber betrachtete das, was mit ihm vorging, ganz richtig nicht als Freiheitsberaubung, sondern als verzögertes Geschäft.
    Er wurde, während erst allein der Ofen, dann die Anwesenden, schließlich er selbst rauchte, neugierig, wie man es machte, so herrlich mit dem Krieg fertig zu werden, denn es gefiel ihm ausnehmend gut.
    Man stellte ihm bereitwillig, als er ins Fragen kam, einen gewissen Scarpini vor. Dieser trug eine flache, ehemals weiße Mütze und spielte die Hauptrolle, nicht als Räuberhauptmann, sondern als Koch. Er war ein junger Mann mit einem blonden Schnurrbart in einem dummfrechen Gesicht. Er entschuldigte sich bei dem Schlächter wegen seiner unangemessen flachen Mütze, zeigte aber, als er sie abnahm, daß sie nach innen gefaltet war: »Die Räume sind so niedrig«, klagte der junge Mann, »es ist aber eine richtige Kochmütze.« Er war befriedigt, als ihm der Schlächter dies bestätigte.
    Er erzählte, daß für ihn der Krieg eine wirkliche Erholung

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