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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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bilde. Er habe sich in diesem Krieg an der Front drei Jahre gründlich, aber gründlich ausgekriegt. Er sei bei ihm vollkommen auf seine Kosten gekommen. Von allen, die er im Krieg bei seinem Bataillon kennengelernt habe, habe er das größte Schwein gehabt. Er sei Maschinengewehrschütze gewesen. Früher habe er wie ein dummer Affe bei seinen Eltern auf dem Land gehockt, es sei zum Blödwerden gewesen; aber das hätte er eigentlich erst gemerkt, als er später in Urlaub kam. Die andern beim Bataillon, sein Korporal, Unteroffizier, Leutnant, alle hätten sich gewundert, was er für ein ungewöhnlich tüchtiger Kerl sei, aber er wußte das vorher kaum. Und nun ging es, in vollkommener Ruhe erzählt, vor den Ohren des entsetzten Schlächters los, Schilderungen von Angriffen, Grabenverteidigungen, eine gräßlicher als die andere. Das klatschte nur so von Voll- und Halbtreffern. Scarpini mit vier anderen an seiner Spritze, zu fünfen stehen sie einmal dabei, klatsch, liegen sie alle da, einer schreit, die Beine weg, die drei andern ein Mus, den man gleich nebenan mit einer Schippe einbuddeln muß, dabei sein bester Freund, und er selbst hat eine Schramme am Arm! »Manchmal war es mir selbst zuviel, wie wir unter den Deutschen hausten. Zuletzt haben wir einen neuen Leutnant gekriegt. Auf den habe ich grade gewartet. Er war stolz auf mich. Wie der einmal aufruft: Maschinengewehr Scarpini, war Scarpini nicht mehr da. Der Schützengrabenengel, der die Boches in den Himmel führte, war verschwunden.« »Warum?« fragte der Schlächter bekümmert, »wenn alle ausreißen, fressen uns die Boches.« Friedlich stimmte ihm Scarpini zu: »Leider blieb mir keine Wahl. Aber erstens konnte ich den Leutnant nicht leiden, der mich bis dahinaus lobte, es wurde mir ängstlich dabei, und dann wurde es einem schließlich zu dumm. Da sitzt du friedlich in deinem Loch, siehst eine kleine Gruppe ankommen, die wollen uns überraschen, aber wahrscheinlich haben sie sich verlaufen; da läßt du sie auf fünfzig Meter heran; wenn man mehr wäre, könnte man sie gefangennehmen, dann tacktackst du mit deiner Spritze, das ist nur ein Augenblick und pustest sie weg. Das hat früher mir jedesmal Spaß gemacht, aber auf die Dauer ...« Und der junge Mann mit der kleinen Kochmütze machte eine höflich entschuldigende Bewegung: »Es geht nicht. Man muß sich schon anderweitig bemühen. Vielleicht bei den ganz Jungen.«
    Darauf rauchte er stumm. Der Koch: »Von uns aus können sie noch lange Krieg führen. Wissen Sie übrigens, warum sie Krieg führen? Ich nicht. Aber sicher ist, wir werden immer mehr. Sehen Sie sich mal Hans und Friedrich an; das sind meine Küchenjungen.«
    Die beiden neben ihm waren Deutsche, blutjunge Burschen, sie drückten sich kauderwelsch deutsch und französisch aus. Der eine, Hans Bruch, ein Westfale, gestand ehrlich, daß er kein Heldenjunge war; er war einfach von seiner Kompanie bei einem Vorgehen abgekommen in einer Schlucht; da lag auch Friedrich in einem greulichen Zustand, heulend und weinend und die Hosen wie immer bedreckt. Es war eine lange Geschichte, wie sie sich durchschlugen und den Wald erreichten. Friedrich sagte zum Schlächter: »Sie sagen immer Boches und halten uns für Räuber. Warum bin ich ein Räuber? Wir sind ausgehoben und sind gleich hinter die Front gekommen, und wir sind noch nicht mal ausgebildet gewesen, da sind wir nach vorn geschickt worden. Warum bin ich da ein Boche? Mich geht der ganze Dreck nichts an.« Der Koch lächelte ihn an: »Friedrich, was sagt jetzt deine Mutter? Was bist du eigentlich jetzt, vermißt, versprengt, Überläufer, im Massengrab oder was?« »Das kann keiner wissen. Da haben schon welche in unserer Stellung gelegen, die waren bloß ein Matsch. Und woher wollen die andern wissen, wer das war.« »Und deine Nachbarn beim Vorgehen.« »Alle sind gerannt und haben sich hingeworfen, kann man da wissen. Und hinter mir war keiner.« Scarpini pfiff: »Denkst du, Friedrich, nachher hat dich doch einer gesehen und deine Hose.« Friedrich, der junge Bursche, wurde zittrig. Der lange Hans mengte sich ein: »Uns hat keiner gesehen. Wenn’s nicht grade ein Toter war; die lagen ja überall rum, manche schon eine ganze Weile. Die werden uns nicht verraten. Und wenn schon. Kriegen tun sie uns nicht. In meiner Kompanie waren übrigens bloß noch zehn ...« Scarpini legte einen Rotwein vor und sang: »So leben wir, so leben wir alle Tage.« Mittags kamen die beiden Anführer, alles

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