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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Sonntagvormittag elf Uhr. Die sozialistische Presse brachte es groß. Aber schon da trauerte der Unentwegte, als er seinen Aufruf inmitten von allerhand gewöhnlichen Nachrichten fand, wie sie nun einmal eine einfache Stadt, in der Menschen wohnen, verbreitet: Eröffnung einer Metzgerei in Metzgergießen, warme Wintermäntel im Kaufhaus Hoher Steg und gegen Verstopfung die Pentapillen der Apotheke zum Eisernen Mann.
    Die machtvollen Kundgebungen! Die Stadt wehrte sich kalt und entschlossen gegen das, was sie nicht wollte. Den Matrosen Thomas, der alles voraussah, mußte man förmlich hinschleppen. Er fluchte: »Ich geh’ in keinen Saal, ich will nicht, das Ganze ist Schwindel, und der Peirotes wird auch sprechen.« Er hatte schon recht. Man zwang ihn, sich vor der Bevölkerung bloßzustellen. Im Sängerhaus und in den beiden Theatern gähnende Leere, man konnte die Räume schließen. Im Edentheater armselige vierzig Personen, hauptsächlich Kinder. Man hatte sie zum Spott hingeschickt. Völlig leer Eldorado und Zentraltheater. Mehr Besuch im U. T.-Kino, wo Rebholz salbaderte, um nicht aus der Übung zu kommen. Er fing an, der gewaltige Sozialist, mit keinem andern als mit Jesus Christus, der auch eine Weltrevolution gemacht hätte. Zum Schluß forderte er das honette Publikum auf, den Soldatenrat bei der Verhinderung von Plünderungen zu unterstützen.
    Den langen Obermatrosen Thomas zerrte man nach der Aubette. Da sah er sich soliden, lächelnden Bürgern und einem Haufen geputzter Damen gegenüber, die ihn interessiert betrachteten, manche mit dem Opernglas. Der gutmütige Seebär stand finster an dem Rednerpult hinter einer Karaffe Wasser. Seit wann stellte man ihm Wasser hin, wenn er Lust zum Reden kriegen sollte. Aber seine Freunde ermunterten ihn, die Sache sei nicht tragisch, einmal wird unsere Zeit auch kommen. Da fing er dann an zu erzählen, wie im großen und ganzen und im allgemeinen einem Seemann zumute sei. Der kommt viel herum, der steckt nie in einer Stadt oder auf dem Land, der fährt auf dem Meer, und da kommt es ganz von selbst, daß er international wird. International, das ist der weite Blick. So. Nun hatte er es den Spießern unten gegeben. Darauf ließ er sich über Wilhelmshaven aus, und es gab großen Beifall, als er berichtete, wie man mit ihnen schon immer verfahren sei, weil sie Elsässer wären, und wie man am 3. und 4.November mit der Flotte umgehen wollte, aber wie sie es dann den Herrn Offizieren gestoßen hätten. Am Schluß lenkte er auf die Franzosen ein. Über die dächten sie ja leider anders als er. Er aber, als Matrose und internationaler Sozialist, ließe sich nichts vormachen. Den Straßburgern, die sich schon jetzt üben, »Vive la France« zu schreien, wird nach einem Jahr die Freude vergehen. Denn jetzt wird Elsaß nicht Teil einer freien deutschen Republik, sondern des kapitalistischen und militaristischen Frankreichs. Na, mit dem Knüppel soll man keinen Menschen zu seinem Glück jagen. Vielleicht überlegt man sich die Sache nochmal. Elsässisch soll man sein und weiter nichts. Das steht bombenfest. Allmählich wird man aber doch die rostigen Ketten abschütteln, und die Internationale wird siegen.
    So, nun war er fertig, und er hatte es geschafft. Da er sehr sympathisch sprach und aussah, applaudierten alle Herren und Damen kräftig. Nachher stand Thomas auf dem Kleberplatz und fragte seinen Begleiter, es war unser alter Bekannter Bottrowski aus Neukölln: »Machen die Bube hier noch immer Krieg mit Knallerbsen?« Bottrowski lachte: »Abends.« Thomas: »Wir fangen nun schon damit am Mittag an, in der Aubette.« »Du hast es ihnen doch ganz deutlich gesagt.« Thomas: »Junge, Junge. Es ist sehr schön in Straßburg. Wir sind und bleiben nun mal Elsässer. Aber hier siehst du mich nur noch zwei Tage. Ich bleibe nicht.« »Da werden sie sagen, du rückst aus, wegen der Franzosen.« »Sollen sie, erzählen ja auch, wir sind bestochen von den Schwobe und von Berlin. Macht mir alles nichts.«
    Sie durchquerten in der Richtung auf den Broglieplatz einige Gassen und traten in eine kleine Speisewirtschaft ein. Ein Soldat erwartete sie da schon. Thomas fragte ihn: »Du warst in der Versammlung?« »Nein, Thomas, ich geh’ da nicht hin.« Der Soldat sah finster aus. Thomas: »Passiert mir auch nicht wieder.«
    Bottrowski sah wieder normal aus, kräftig und frisch, bis auf eine Gelbfärbung um sein linkes Auge: »Wie ihr am Donnerstag kamt, dachten wir alle, nun geht’s hier

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