November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Zivilbevölkerung der Nachbarschaft auf gutem Fuß. Immerhin übten manche Rudel einen erpresserischen Druck auf Zivilisten aus. Sie versorgten sich bei ihnen durch Betteln mit Lebensmitteln. Dann gab es aber auch Horden, die sich geschickt den Verhältnissen anpaßten und ein weit verbreitetes Gewerbe übten, wozu sie besonders befähigt waren: den Schleichhandel und seine Vermittlung. Dazu wechselten sie die Quartiere und schufen gut eingerichtete Organisationen, von deren Tätigkeit – sonderbare Zusammenhänge – sogar Truppenangehörige der hintern Linien und der Etappen profitierten.
Man konnte ihnen schwer auf die Schliche kommen. Im Wald lebten welche in vorzüglich ausgebauten, unterirdischen Höhlen. Man hatte gelernt, Unterstände zu bauen und zu camouflieren. Wenn sich in der Regel auch nicht Feldgendarmen und militärische Patrouillen in dem Gestrüpp verirrten, so passierte es doch gelegentlich einfachen Bauern, die Grund hatten, die offenen Chausseen zu vermeiden, daß sie im stillen Wald plötzlich den Boden unter sich weichen fühlten und, während sie um sich schlugen, in einen gut metertiefen Abgrund rutschten. Aber was für einen Abgrund! Eine Menschenfalle? Ganz und gar nicht. Sie fielen zwischen fröhlich quietschende Ferkel und entsetzlich gackernde Hühner, denen sie im Fall nicht wohltaten. Und wenn die verunglückten Leute eine Weile unter dieser tierischen Musik sich vergeblich bemüht hatten heraufzukriechen – das ging schlecht, denn die Wände der Höhle waren oben eng wie ein Schornstein, nach unten aber liefen sie weit auseinander, und grade das Gegenteil muß sich der wünschen, der herausklettern möchte –, dann erschienen nach einiger Zeit, es konnten mehrere Stunden sein, oben Menschen, etwa eine Frau, und dann mehrere Männer, die mit Blendlaternen herunterleuchteten und nach einigem Palaver eine Strickleiter herunterließen, auf der man sich wieder dem lieben Tageslicht näherte, mit Erde, Schweine- und Hühnerdreck verziert. Die Leute oben besahen einen sorgfältig. Wer hier hineinfiel, wußte meist schon von ihnen. Sie erwiesen sich je nachdem streng oder freundlich. Ohne massive Strafandrohung wurde keiner entlassen. In den meisten Fällen endete aber solch Malheur mit der Anknüpfung neuer Handelsbeziehungen.
Einmal passierte einem Schlächter aus Douai das beschriebene Unglück. Es war ein älterer Mann, der nicht viel zu schlachten hatte. Er war im Interesse seiner Kinder bemüht, sich alle paar Wochen in der Welt nach Vieh umzusehen, das ein Erbarmen mit dem menschlichen Hunger hätte. Trübe, mit leeren Händen ging er eines Nachmittags durch den Forst, er konnte sich nicht entschließen, so zu Hause anzukommen, und machte den Umweg durch den Wald aus bloßem Ärger und professionellem Widerwillen gegen die Feldgendarmerie, die für die Aufrechterhaltung des menschlichen Hungers sorgte. Da stürzte er. Und was er sich nicht hatte träumen lassen, ereignete sich: er fiel zwischen Schweine. »Ist es die Möglichkeit«, dachte der Schlächter, »so verstecken die Leute ihr Hab und Gut? Sind das noch menschliche Zeiten?« Es war absolut dunkel unten, wenigstens im Augenblick. Er war auf sein Ohr und sein Gefühl beschränkt. Hühner gab es unten auch. Aber wo hielten sich die Leute auf, denen das gehörte?
Langsam gewöhnten sich seine Augen, und er besah mit Entzücken den vorhandenen Reichtum; der Schmutz und Gestank taten ihm wohl, es war ein nahrhaftes Aroma. Aber warum zeigte sich kein Mensch. Auf Klettern wollte der ältere Mann sich gar nicht erst einlassen. Es konnte aber, dachte er besorgt, immerhin einen halben Tag dauern, bis sich hier der Besitzer zeigte, der Mann würde dann kommen und sein Vieh füttern.
Und richtig, es war schon dunkel geworden, als sich endlich, wie er väterlich zwischen den lieben Schweinen und den guten Hühnern hockte, oben Stimmen vernehmen ließen, dann gab es ein Rufen, aha, sie haben etwas bemerkt, und dann leuchtete eine Blendlaterne herunter. Eine Männerstimme sagte: »Aha, da sitzt er.« »Einer?« »Ja. Was machen Sie da unten?«
Man sprach französisch. »Ich bin runtergefallen.« »Was treiben Sie sich hier herum?« »Ich bin Schlächter aus Douai, ich hab’ mich verlaufen, ich wollte nach Hause.« »Schlächter?« Darauf gab es oben ein großes Lachen. Man rief herunter: »Da wollten Sie sich wohl gleich billig unsere Schweine holen.« »Aber Herr.« »Sie sind ein Einbrecher. Wir werden Sie der Polizei übergeben.«
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