November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
verschwand aus Sichtweite, sie beäugten den Schlächter und kamen nach einer halben Stunde ernst wieder. Der eine Anführer war ein Engländer, der andere ein Deutscher. Der Engländer stammte noch aus der Zeit der ersten großen Schlachten und hatte von der weit verbreiteten geheimen Organisation, die Leute über die holländische Grenze brachte, nicht mehr befördert werden können; und als Miß Cavells Zentrum in Brüssel verraten wurde, gab er die Hoffnung auf. Da es ihm zu riskant schien, sich gefangenzugeben und ihm in den großen Orten das dauernde Verstecken vor der deutschen Kontrolle nicht behagte, ging der tüchtige wütende Mann in den Wald zu andern und bewaffnete sich. Sie schlugen sich da bequemer durch. Wo er den Deutschen Schaden zufügen konnte, tat er es, aber nur im Beginn, die Rücksicht auf die Gruppe zwang allmählich zur Vorsicht. Und allmählich gab es nur eine einzige Moral: sich zu behaupten.
Immerhin hatten sich manche Gruppen recht hübsch, zivil, eingelebt. Der Engländer kannte natürlich den Schlächter, und schließlich stellte sich heraus, daß sie aus Douai gemeinsame Erinnerungen an Familien hatten, die den seinerzeit abgeschnittenen Engländer von den Royal Engineers vergeblich hatten weiterschieben wollen. Der deutsche Anführer stellte sich zu ihnen, eine rundliche, bärtige Erscheinung, ein Mann in den Vierzigern, er trug neue Offiziersgamaschen und einen kleinen verschlissenen Jägerhut; umgehängt hatte er sich einen neuen englischen Gummimantel. Solche Gummimäntel kamen damals an unerwarteten Stellen zum Vorschein, sie stammten aus einer zurückgeschlagenen Offensive und waren im Kriegsgetümmel englischen Gefallenen, auch deutschen abgenommen; später im friedlichen Handel gelangten die Mäntel als Beute in dritte, vierte Hand. Sie dienten unverdrossen weiter gegen den Regen, immer gegen denselben Regen, den die Menschen in Feindes- und Freundeslager verabscheuten.
»Na«, sagte freundlich beim Abschied – denn es verlief alles friedlich – der Schlächter zu Friedrich, dem Küchenjungen, der ihm ein Paar knusprige Würstchen vorgesetzt hatte, »was wird nun deine Mutter zu Hause sagen, wenn sie weiß, was du hier machst?« »Warum?« Friedrich war pikiert. »Na, keinen Heldentod.« Der kleine Friedrich geriet förmlich in Rage, und der Engländer runzelte verwundert die Stirn gegen ihn, als er losstotterte: »Was ihr von uns denkt. Als wenn wir Deutsche keine Menschen sind. Meiner Mutter ist es lieber, daß ich komme, als daß ich nicht komme. Sind denn bloß die Franzosen Menschen.« Scarpini klopfte ihm auf die Schulter. »Ärgert mir unser Bébé nicht. Sein Vater hat einen Heimatschuß, sagt er. Der reicht für die Familie.«
Der Schlächter mußte enorm für seine Verpflegung zahlen! Sonst geschah ihm nichts. Er hatte bei dem Abenteuer nur allerhand Erfreuliches gelernt, zum Beispiel, daß aus dem endlosen Elend Leute einen Ausweg suchten, wenn auch auf zweifelhafte Art. Er dachte, wie er im Regen wieder auf der Chaussee marschierte: wenn ich einen Sohn hätte und man würde ihn mir jetzt wegnehmen oder die Deutschen würden ihn zum Schippen anstellen, so möchte ich ihn doch lieber hier haben wollen. Das mal sicher.
Als er seiner Frau in aller Verschwiegenheit zu Hause sein Abenteuer erzählte, endete er: »Nu mach bloß keine großen Augen. Du würdest noch anders reden, wenn sie uns deportiert hätten oder ich soll für die Deutschen schippen.« »Aber Franzosen sollten doch ...« »Franzosen sollten doch und sollten doch nicht. Es gibt mutige Leute an der Front. Mach dir keine Sorgen. Es muß auch Platz in der Welt für nicht mutige Leute geben. Man wird doch wohl noch das Recht haben, nicht mutig zu sein. Der Koch, der Scarpini mit der kleinen Mütze, erzählte grausige Sachen von draußen. Wie das kracht und einschlägt. Kannst du das vertragen?« »Aber ein Mann!« »Ein Mann. Ein Mann ist auch ein Mensch. Seit wann kann ein Mann alles vertragen. Ich könnte das Krachen nicht vertragen. Und mich hinstellen mit dem Messer und andere abstechen, nein. Ich bin Schlächter, aber das liegt mir nun doch nicht.«
Sie: »Wenn alle so denken, Moritz.«
Er wurde wütend: »Hör auf mit dem Blödsinn. Man wehrt sich ja. Aber darum kann es einem doch nicht passen. Denen vorne paßt es doch auch nicht. Wer ist denn schließlich richtig mutig? Ihr! Nur ihr! Ihr, die Frauen! Immer mit dem Mund.«
Die Frau war nicht zufrieden. Er: »Du hättest wohl lieber gehabt,
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