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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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los in Straßburg.« »Dachte ich auch.« Bottrowski: »Ohne die Franzosen wär’s gegangen. Darauf schwör’ ich. Aber mit denen kann der Sozialismus nicht konkurrieren, für einen Bürger. Die wollen doch ihre Fahnen und Uniformen und Offiziere und Orden. Patriotismus, ›Heil dir im Siegerkranz‹ oder die Marseillaise. Die Kapitalisten sind obenauf und reiben sich die Hände.« Thomas: »Vielleicht geh’ ich auf See, auf ein Handelsschiff, englisch oder holländisch. Hier bleibe ich nicht, Bottrowski. Wie ich die heute unten in der Aubette gesehen habe, da habe ich mir gesagt, das kommt für den Matrosen Thomas nicht mehr in Frage.«
    Und er ballte die Fäuste. Alle drei hatten grimmige Mienen. Bottrowski nahm sein Seidel, sie stießen an, ohne ein Wort zu sagen.
    Bottrowski nach einer Pause: »Ich mach’ nach Berlin. Da gibt es was zu besorgen, mit Ebert, Scheidemann und Genossen.« Thomas war noch nicht so weit: »Die Trikolore könnte ich noch schlucken, aber daß hier Offiziere herumspazieren, und wir haben damit Schluß gemacht, und die Geldsäcke fangen wieder an zu regieren.« Bottrowski: »Komm nach Berlin. Ich hab’ da noch mit einem eine besondere Rechnung abzumachen, mit einem Halunken Heiberg, dem Leutnant, den ich in den Soldatenrat gebracht habe, und der Halunke verstellt sich und hat zwei von unsern Leuten erschossen.« »Knall ihn ab. Ich geh’ nach Wilhelmshaven.« Und er blickte den andern Soldaten an, der nicht sprach: »Josef, du bist doch auch Elsässer. Sag mal, hättest du das für möglich gehalten? Was werden sie in Wilhelmshaven zu uns sagen.«

Der Fliegenschwarm der Versprengten
    Wie von einem Fliegenschwarm wurde das rückwandernde Millionenheer von einer Wolke von Versprengten, Flüchtigen, Überläufern, umgeben. Das große mörderische Unwesen der beiden Fronten hatte sich quer über das friedliche Land geworfen. Es hatte dem fruchtbaren Boden nicht viel ausgemacht, daß man ihn eine Weile mit Granaten und Bomben kratzte. Die Millionen Leichen waren ihm ungewohnt, aber er war auch auf dies Geschäft eingerichtet, und junge und alte Männer, Rekruten und Landstürmer, Gelehrte, Studenten und Bauern nahm er ohne Unterschied an. Alle empfing er, erstaunt, daß so viele auf einmal kamen. Aber er beruhigte die neuen Ankömmlinge und murmelte griesgrämig: Ihr seht ja, was ihr da oben habt, laßt es euch bei mir gut sein. Und ging mit allen auf die mildeste Art um, so daß sie die Gräßlichkeit oben bald vergaßen.
    In den kleinen und großen Orten, in verlassenen zerschossenen Gehöften, in Erdlöchern, in den dichten französischen Wäldern hielten sich Scharen von Versprengten und Flüchtigen auf. Wenn man sie zusammenzählte, waren es viele tausend, und je länger der Krieg vorrückte, um so mehr wurden es. Diese Massen hätte vor dem Krieg keine Generalstreikparole bewegt. Was kein Donnerwort, kein politischer Befehl, keine pazifistische Belehrung zuwege gebracht hatte, bewerkstelligte der einfache Wirrwarr des Krieges. Franzosen, Russen, Deutsche, Soldaten und Zivilisten hockten beieinander und verteidigten sich gemeinsam – gegen den Krieg.
    Wie war dies Treiben möglich geworden? Heimatbehörden, hohe und niedrige militärische Dienststellen auf beiden Fronten wüteten. Die Vermehrung der Feldgendarmerie nützte nicht viel. Wenn sie schon einmal den und jenen oder eine ganze Gruppe Landstreicher faßte, so strömten von Monat zu Monat mehr zu. Jede Offensive speiste ihre Zahl. Dies kam daher, daß es sich im Laufe der Jahre herumsprach, wie der Krieg aussah. Es folgten noch die meisten willig oder widerwillig dem Einberufungsbefehl, wie sollte man sich drücken, aber je näher viele der Front kamen, um so mehr wuchs der Wunsch, fern von ihr zu sein, und im Laufe der fünfzig langen Monate waren viele diesem Wunsch gefolgt. Sie hatten sich zum Freiwild gemacht.
    In die Wälder, die abseitigen Farmen, die zerschossen lagen, wagten sich die Feldgendarmen nicht hinein. Es gab eine ganze Skala von resoluten Friedensfreunden: von denen, die sich nur irgendwo in einem Ort, vielleicht sogar nahe bei ihrer Heimat versteckten, arbeiteten und bei Nachforschungen verschwanden, bis zu denen, die eine notorische Räuberexistenz führten, selten einzeln, meist in Horden.
    Es gab undurchdringliche Wälder in Nordfrankreich, da lebten Banden, während langer Monate des Krieges, gelegentlich in Gruppen zu drei und fünf, manchmal in Horden bis zu zwanzig. Sie standen mit der

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