November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
es als Gott ebenso gemacht haben.« Er blickte sie nachdenklich an.
Die Mutter ernst: »Was hast du mit der Schöpfung?« »Wie gut, daß man sich an Worte halten kann. Man kann sich wirklich an Worte halten. Und da läßt Goethe den Mephisto spotten: ›Im ganzen haltet Euch an Worte! Dann geht Ihr durch die sichere Pforte zum Tempel der Gewißheit ein.‹ Als wenn darüber zu spotten wäre. Es ist etwas Ungeheures um das Wort.«
Die Mutter setzte sich bequem in ihren Stuhl: »Ich hätte nicht geglaubt, Friedrich, daß wir eine so gute Unterhaltung am ersten Tag deiner Rückkehr führen würden.« »Du nahmst an, ich sei verändert? Wahrhaftig, ich bin es. Ich weiß bloß im Moment nicht, worin. Ich habe draußen im Lazarett festgestellt, ich habe mich sehr verändert. Meinem Freund Maus habe ich es unterwegs an Hand von Tristan und Isolde erklärt.« Die Mutter wischte sich die Augen: »Ich bin so glücklich, wenn ich dich so sprechen höre.« »Du weißt noch gar nicht, was ich sagen will.« »Wer ist Maus?« »Regimentskamerad und Zimmergefährte im Lazarett. Er hat’s in der Schulter, ist schon fast heil, ich glaube, sie wird steif bleiben.«
»Der Arme. Freuen wir uns, daß ihr da seid.«
Da lehnte sich Becker zurück, seine Augen hatten sich einen Augenblick erweitert, er redete leise: »So steht es nicht, Mutter: wir sind zurückgekehrt, und man kann sich freuen, daß wir wieder da sind. Es ist gut, da zu sein. Aber was jetzt kommen wird, ist nicht klar. Nur für die, die draußen liegengeblieben sind, ist alles klar. Aber wir andern.«
»Der Krieg ist zu Ende, Friedrich.«
»Sieh mich an, Mutter, und sage, ob der Krieg zu Ende ist. Es liegt nicht an meinen Verletzungen. Ich bin ein hartgesottener Sünder, so daß erst die Verletzung kommen mußte, um mich hellhörig zu machen. Daß Krieg gewesen ist, ist nicht zu Ende. Hast du ihn nicht auch erlebt, Mutter?«
»Was willst du sagen?«
Er legte beide Hände vor das Gesicht.
»Daß Krieg gewesen ist, ist nicht zu Ende. Es geht weiter. Es soll und muß weitergehen. Mutter, ich sitze nicht mehr als derselbe Friedrich hier von früher. Nicht bloß wegen meiner Beine.«
»Ich erkenne dich doch, Friedrich.«
»Und du gibst mir denselben Namen?«
Sie lächelte: »Ja.«
Da bemühte er sich, mehr nach vorn zu kommen. Er lächelte unsicher. Sie wollte ihm helfen, er wollte sich nur an ihren Hals drücken.
Nach einer Stunde brachte sie ihm Tee und Zwieback, sie aßen und tranken zusammen, und er lachte, daß sie ihm Zwieback servierte, er esse wahrhaftig alles, jedenfalls, was gut sei. Er blickte sie voll Dankbarkeit an, sie flüsterte: »Mein lieber Sohn.« Als sie abgeräumt hatte, fand sie ihn vertieft, mit dem Blick nach unten. Er sagte: »Ich liege und sitze hier, ich denke nach und fühle nach. Nun bin ich da. Hier habe ich vor dem Krieg gelebt und gearbeitet. Vor dem Krieg. Es ist mehr als der Krieg. Mutter, ich weiß, ich habe mich nicht darum monatelang mit dem Tod herumgeschlagen und bin nicht darum aus dem Krieg nach Haus gekommen, um mein altes Leben fortzusetzen. Es ist mir nicht beschieden, du siehst es mir an. Und selbst wenn meine Glieder stärker wären, ich dürfte es nicht mehr.«
Sie nickte: »Ich sehe es, Friedrich. Wir werden alle nicht mehr leben wie früher. Aber dennoch.«
»Du bist gut, ich weiß. Ich habe wie ein Schmetterling gelebt. Berührt – nichts, gedacht – nichts.«
»Wer hat denn gedacht, wenn nicht du?«
»Berührt nichts, gedacht nichts, gewußt nichts. Mutter, wir liegen in einem Abgrund. Wie konnte das vernichtet werden und verschwinden, Mutter, wie ein Staub, den man wegbläst, das, was Millionen von uns in den Krieg geschickt hat und opferte und tötete jung und alt, und das verschwindet wie ein Gespenst beim Hahnenkrähn, das Reich, das deutsche Reich, der Rahmen unseres Daseins. Ich habe keine Zeitungen gelesen, aber ich weiß genug. Der Kaiser in Holland, der Kronprinz, alle Fürsten weg, und eine Meute von Menschen, die keiner kennt, sitzt an ihrem Platz – und wir, wie sollen wir das denken? Welche Entlarvung, Mutter.«
»Es ist die Niederlage, Friedrich.«
»Und nicht einmal, daß die Millionen dahinten liegen, die Toten, und daß es zu Millionen Verstümmelte gibt, hat sie zurückgehalten. Welche Schamlosigkeit, und sie waren unser Halt, der Rahmen unseres Daseins.«
»Friedrich, was hätten sie nach der Niederlage tun sollen?«
Er kreuzte die Arme und sagte lange nichts. Dann berührte er die
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