November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Kommissar, und marschierte mit laut klappenden Sohlen den Korridor entlang grade auf die Stube ihres Mieters zu, sie zeigte auf die furchtbar stumme Milchglasscheibe.
Der Kommissar strich sich den Schnurrbart, räusperte sich und klopfte diskret. Keine Antwort. Er klopfte nochmal, energisch. Keine Antwort. Frau Kleinbart triumphierte. Da räusperte sich der Kommissar, rief: »Herr Brose-Zenk«, und stieß dabei gegen die Türklinke. Die Tür öffnete sich von selbst. Man blickte durch den Raum direkt auf das Bett. Darauf lag ein Objekt. Dürfte Brose-Zenk sein. Also erhängt jedenfalls nicht. Aber bewegungslos. Selbstmord oder Mord. Der Kommissar spürte sich heran. Plötzlich – schnellte das Objekt hoch, saß aufrecht. Es sah greulich aus. Ein Mann. Er wischte sich die Augen, sein Bart war zerknautscht. An einem Bein trug er einen Stiefel, am andern keinen. Der Stehkragen war offen, die Jacke zerdrückt. Die beiden Backen trugen verschiedene Farben, die linke, auf der er wie ein Steinblock geruht hatte, war knallrot mit Streifen, die rechte trug eine natürliche, gelbblasse Farbe. Und dann, am rechten Ohr, auf der Nasenspitze eigentümliche rote Flecken, Reste von Küssen, Lippenrot, Hinterlassenschaft zweier jüngerer Damen, die in der Nacht an seinem Spielglück teilgenommen hatten. So saß Brose-Zenk aufrecht, bewegte den großen Zeh und sah auf den Kommissar, den er sofort erkannte. »Was wollen Sie?« krächzte er, ließ die Beine herunter und suchte nach dem andern Stiefel. Der Kommissar bückte sich höflich, sie stießen die Köpfe zusammen, Schuld Brose-Zenks, aber der Beamte entschuldigte sich, gab den Stiefel und sagte, es sei wegen des Gaslichts, man hätte sich beunruhigt, besonders Frau Kleinbart und so weiter. »Weiter nichts«, fragte der Mieter am Bettrand mißtrauisch. »Absolut nichts«, breitete der Kommissar den Arm aus, »wenigstens nichts, soweit ich wüßte. Ihre Papiere sind doch in Ordnung?« Sofort, wie auf Signal, griff Herr Brose in seine Brusttasche und holte einen Haufen zerknüllter Banknoten heraus, dazwischen lag die schmale Brieftasche. Die Noten stopfte er in die Hosentasche.
»Sie gehn gut mit Ihrem Geld um«, lachte der Beamte und blätterte in dem Paß. Die Frau starrte mit glühenden Augen, sprachlos, auf ihren Mieter. Der Beamte gab den Paß zurück: »Nun, da freuen wir uns, daß es ein Schreckschuß war. Und wenn Sie keinen Wert auf solche Besuche legen, dann machen Sie ’s Gas rechtzeitig aus, sonst alarmiert Frau Kleinbart einmal die Feuerwehr.« Und draußen standen die beiden Gestalten, auf dem Korridor, und wisperten, was das für ein Mann war, woher er das viele Geld hat, wie er damit umging.
Herr Brose aber drin noch auf dem Bettrand, hielt das Ganze für ein vereiteltes Überfallsmanöver.
Ein politisches natürlich, heute gab es nur politische. Man wollte – seine Korrespondenz plündern. Die Wirtin war mit im Spiel. Immer lassen. Seine Korrespondenz hatte er woanders, wo er auch nicht Brose-Zenk, sondern einfach Schröder hieß. Er pries den Einfall der Wirtin, ihn zu wecken, denn heute war ein großer Tag, die Beerdigung der Revolutionsopfer, und daran wollte er teilnehmen, als ruhiger Zuschauer. Herr Brose-Zenk spekulierte nämlich und wollte sich ein Bild darüber machen, was von dieser Revolution zu erwarten war.
Er hatte es immer mit den Bürgern gehalten, natürlich, wo war denn sonst Geld. Ein wirklicher Kriegsgewinnler zu werden, war ihm nicht gelungen. An die große Industrie und an wirkliche Heereslieferungen kam er nicht heran. Daher kleine Lebensmittelgeschäfte und das Spiel, wozu er auch sonst neigte. Aber jetzt witterte er Morgenluft. Auch seine Zeit war gekommen. Die Großen fallen, und die Kleinen steigen auf. Es gibt eine Gerechtigkeit in der Welt. Mit solchen Gedanken zog er sich an, beziehungsweise erst aus. Der zerdrückte Anzug war für den Moment unbrauchbar. Einen dunklen Anzug mit einigen weißen Streifen, den man eventuell nehmen könnte, betrachtete er im Schrank, der schien ihm geeignet. Während er sich wusch, betrachtete er sein Gesicht, übernächtig, gewiß, aber mit dem nassen Bart wohlwollend, vertrauenerweckend, ja lustig, und hab’ ich keine Phantasie? Er drehte sich, noch die Backen eingeseift, nach dem Tisch um, wo eine Illustrierte lag, auf der Rückseite in Medaillons Bilder von mehreren Regierungsmitgliedern, Volksbeauftragten und so weiter. So gut wie die sehe ich noch immer aus, dachte er; alles Räte,
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