November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
wie die Entente! Das weiß jeder, der ihn kennt.« »Sie kennen ihn«, fragte ehrfurchtsvoll Brose. »Lange. Man kann sich auf ihn verlassen. (Er flüsterte Brose ins Ohr.) Sogar der Kaiser hat gesagt, als es brenzlich wurde: Mit Herrn Ebert bin ich bereit zusammenzuarbeiten.« Brose: »Was Sie sagen. Großartig.« »Da haben Sie den Beweis. Und nun verleumdet man ihn.« Er stopfte das Blatt in die Jackentasche. Brose wollte fragen, ob Ebert auch stark genug sei, ob er genug Soldaten hätte, aber der Redakteur ließ sich nicht mehr halten. Er hatte sich dies nur vom Herzen reden wollen. Er eilte in den Spielsaal. Sie stürzten beide herein wie losgelassene Stiere in die Arena.
Motz setzte sich drin an die Wand. Er sah Brose an dem langen Tisch in vollem Spielrausch. Er zog seine Uhr und dachte an seine neue Geliebte. Er drückte sich. Auch seine Stunde war gekommen.
Es war ein interessantes Haus, in dem man spielte.
In der Portierloge regierte eine nicht grade junge, aber auch nicht alte Person, welche seit zwei Jahren diese Stelle bekleidete, weil der altverdiente Portier ein zu großes Interesse für die Gäste des Hauses gezeigt hatte und sich der Kriminalpolizei gegenüber ungeschickt benahm. Darauf ersetzte ihn die martialische Dame, der das Haus gehörte, durch Frau oder Fräulein Julie, die bei ihr nähte. Julie war verschwiegen, aber das Avancement genügte ihr noch nicht. Sie nahm einen merkwürdigen Gast zu sich, mit dem die Hausbesitzerin nicht ganz zufrieden war, ohne offen zu rebellieren, einen Kriegsblinden. Für solche Kriegsblinden, wenn sie unverheiratet waren, suchten damals Sanitätsbehörden und Versorgungsstellen gern Frauen, die sie betreuen konnten; die Kriegsblinden selbst waren bei manchen Frauen beliebt, weil sie wie andere Schwerverletzte und Vollarbeitsunfähige Vollrente erhielten; diese konnte unter Umständen kapitalisiert werden – wobei die Behörde aber sehr vorsichtig verfuhr –, und der Kriegsinvalide konnte sich ein Gütchen kaufen, einen Laden aufmachen. In der Regel fing alles mit der Heirat an. Dieser Punkt war aber bei Schurz, dem Kriegsblinden der Frau Julie, noch nicht erreicht, und Frau Julie strengte sich an, um dahin zu gelangen. Sie setzte ihrem Pensionär mit großer Liebe zu. Er war aber hartnäckig und mißtrauisch und wollte Pensionär bleiben. Sie mußte sich deshalb grenzenlos ärgern und vieles herunterschlucken, denn die Ansprüche, die er stellte, wurden horrend und völlig die eines Ehemanns.
Mit großer Naivität dachte die Frau daran, ihren Blinden auszubeuten, aber er beutete sie aus. Er hatte einen niederträchtigen Plan. Er dachte, wenn sie mich in der Tasche hat und nach mir Frau Schurz heißt, dann bin ich nichts, und das Versorgungsamt wird mich nicht weiter beschützen. Dann ist es einfach Ehe. Wenn ich es aber andererseits zu weit treibe, macht die Frau Schluß mit mir, und das Amt steckt mich in die Blindenanstalt. Daraus ergab sich der Plan, lange im Schwebezustand zu verharren, zu temporisieren und sich nichts merken zu lassen. »Wir können doch nicht ewig verlobt sein«, bettelte Julie, die Portierfrau, »meine Familie wundert sich schon, was du an mir auszusetzen hast.« Er fluchte auf ihre Familie und gelobte dem ersten besten daraus mit dem Stuhl den Schädel einzuschlagen, wenn er ihm in die Nähe käme. Er inszenierte seine Wutanfälle, den Schützengrabenkoller – womit der schlaue Mann Debatten abschnitt und sie in die Verzweiflung trieb. So standen damals die Dinge in der Portierloge. Der hartnäckige Blinde war aber schon für Frau Julie eine gewisse Stütze; ihm machte es nichts aus, wegen seiner Augen, am Tag oder bei Nacht zu schlafen. Und da bestimmte sie ihn, tags zu schlafen und nachts für sie zu wachen, um den Zug für das Türöffnen und -schließen zu bedienen, es ging in dem Haus von elf bis vier Uhr morgens rege zu. Dabei führte er gelegentlich durch sein kleines Fenster kurze Gespräche und steckte Trinkgelder ein, die er vor Frau Julie unterschlug und die sie ihm, während er schlief, wieder wegzustibitzen suchte, was zu einem weiteren unterirdischen Kampf zwischen ihnen führte.
Dagegen gab es im vornehmen ersten Stock – es war ein altes Haus ohne Fahrstuhl – eine seriöse, bekümmerte Familie, die eines Obersten. Der Mann war im Beginn des Krieges gefallen, der einzige Sohn seit dem Marnerückzug verschollen. Jetzt hauste in den großen Räumen die Mutter mit den Töchtern, von denen zwei noch zur Schule
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