November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Verhaftung vorgenommen, Verurteilungen wegen Vorliebe für Frankreich in mindestens fünfhundert Fällen. Und dann ganz leise: »Was die Großherzogin Adelaide anlangt, so hat der Kaiser bei ihr diniert, und sie hat einen Toast auf die ruhmreiche deutsche Armee ausgebracht, oha, die Großherzogin Adelaide.«
Man bat Maurice Barrès, den Abgeordneten der französischen Kammer, Mitglied der Akademie, einen Mann aus Charmes an der Mosel, der noch als Kind den Einmarsch der Preußen 1870 erlebt und nicht vergessen hatte, der Rückkehr der französischen Truppen in das wiedergewonnene Gebiet beizuwohnen. Er war jetzt sechsundfünfzig Jahre, berühmt als Schriftsteller über die Landesgrenzen hinaus, und hatte sich während des Krieges als ein leidenschaftlicher Freund der Armee, ein unermüdlicher Trommler erwiesen. In der Kammer bildete er eine Partei für sich, er, der sich Nationalist nannte. Er verließ Nancy, wo er nicht glückliche Schuljahre verbracht hatte, mit den französischen Truppen, die dann schweren feierlichen Schrittes die alten feindlichen Linien durchquerten. In eine wilde Zone drangen sie ein, verwüstete Dörfer, aufgerissener Boden. Die Truppe ging ernst in dem Grauen, kein Lied. Ein blasser schneeschwerer Himmel hing über ihnen. Da lenkte der Wagen von Barrès mit einigen Offizieren seitwärts, sie jagten voraus, er wollte einen Freund begrüßen. Der war im August 1914 ausgezogen, fröhlich und sicher wie viele, und war im selben August in der Nähe gefallen, zusammen mit anderen, am Hügel von Delme. Durch die feindliche Linie war der Tote bis jetzt von seinen Angehörigen und Freunden getrennt gewesen, keine Blume konnte man auf sein Grab legen, ja, gab es überhaupt ein Grab. Das Auto von Barrès sauste durch mehrere Ortschaften, die völlig leer lagen, Schweigen und Schweigen umgab sie, sie waren die ersten, die hier eindrangen.
In Fontany machten sie Halt. Es öffnete sich ein Fenster, ein Kopf streckte sich vor, eine Stimme ließ sich hören: »Die Franzosen! Die Franzosen!« Der Zauber war gebrochen, Kinder liefen heran. Und dann kam der Maire und hielt ihnen beide Hände hin, Tränen rannen ihm über das Gesicht, er stammelte: »Wir warten auf euch – siebenundvierzig Jahre.« Man fiel sich um den Hals.
Und während man Fahnen herauszustecken begann, fragte Barrès nach dem Toten, Guy de Cassagnac. Der Maire führte ihn auf einen nahen Gutshof, eine große junge Frau näherte sich ihnen und begann im Hoftor zu erzählen, was sich am 20.August 1914 ereignete, nach der Schlacht. Wie man auf einem Karren einen jungen sterbenden Offizier, einen Franzosen, anfuhr, er lächelte und war schon so schwach, daß man ihn nicht mehr ins Haus bringen konnte. Man mußte ihn auf der Wiese herunternehmen und ins Gras lagern. Und da, den Kopf gehalten von der jungen Frau, ist der junge Soldat gestorben.
Und wie die junge Frau an das Ende des Berichts kam, fingen ihre Lippen zu zittern an, ihr Gesicht wurde rot, sie hob die Hände hoch und weinte.
Ein Bauer trat neben sie und erzählte weiter: »Man wollte den jungen Offizier unter dem Baum hier begraben, aber es wurde verboten. Die deutschen Soldaten kamen, plünderten die Leiche aus und rissen die Medaillen ab. So legte man den Toten zu den vielen andern in das Massengrab.«
»Das Zimmer war heller als heute, du saßt am Fenster, leicht gebückt, hieltest ein Buch auf den Knien, das du aus meiner Bibliothek genommen hattest, der Band Venedig mit den Bildern. Du blättertest, in manche Bilder vertieftest du dich. Du hattest einen freudig sinnenden, ja entzückten, trunkenen Ausdruck. Ich saß abseits im Fauteuil und betrachtete dich. Der ganze Raum war durch dich in ein Bild verwandelt.«
Kinder des Gutshofes führten die Besucher zu einem nahen Steinbruch, wo die Gefallenen beerdigt waren. Die Blumen am Boden, Blumen auf dem breiten Grabhügel. Der junge tote Offizier lag da, wie er es in einem seiner letzten Briefe gewünscht hatte: »Wenn ich falle, soll man mich zusammen mit meinen Leuten begraben.«
Barrès und die Offiziere gingen zu dem Auto zurück und fuhren auf Metz. In Metz läutete die alte Stadtglocke, die Mutte. Sie läutete unaufhörlich. Ihre Inschrift sagt: »Ich läute Recht.«
Gestern war der Tag, wo General Mangin zu Barrès sagte, und heute wiederholte es Pétain: »Jetzt kann uns das Leben genommen werden. Wir haben unsere Aufgabe getan, unsere Tage sind erfüllt.«
Sie kamen, Barrès und die Offiziere, die ihn
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