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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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gehen.« Sie lachten behaglich. Brose: »Da hast du die Vernunft der Masse in Lebensgröße! Ein einzelner wie ich – wie du – geht andere Wege. Das Gute ist, ich hab’ heute gesehn (er flüsterte es, weil die Wagen ratterten, Motz ins Ohr), sie verlassen sich immer auf den andern. Und auf ihren Gesang, auf die Fahnen.« Er schmunzelte: »Wenn ich mich bei meinen Geschäften auf dich und du dich auf mich verlassen würdest. – Ich habe übrigens mit der Intendantur, mit der Heeresverwaltung gearbeitet. Und wäre dieses traurige Kuddelmuddel nicht gekommen, so hätte ich ein Verdienstkreuz oder so was im Knopfloch. Manche schaukeln sogar das Eiserne Kreuz.« Motz: »Wenn ich Revolutionär wäre, würde ich dich aus demselben Grunde aufhängen.«
    Sie waren auf ihrem endlosen Schlängelweg durch dunkle Straßen in die Prinz-Albrecht-Straße an die Rückseite des Abgeordnetenhauses gelangt. Jetzt fluchte der Kutscher. Er schlug auf das Pferd, Stimmen wurden laut, und nun klirrte ein Stein gegen eine Scheibe. Man schrie: »Raus! Wenn wir laufen, könnt ihr auch laufen.«
    Die beiden drin schoben sich zusammen, der Kutscher brüllte, man zerrte sie heraus, Brose und Motz standen auf der schwach erhellten Straße inmitten eines kleinen Haufens von Männern, die eine große rote Fahne trugen, offenbar Absprengsel des Zuges. »Haut die Knallprotzen!« »Ausbeuter!«
    Motz lachte den wilden Männern, die vor ihm ihre Fäuste schwangen, ins Gesicht: »Den möchte ich sehen, den ich ausgebeutet habe. Ihr seid wohl verrückt. Laßt uns doch fahren. Wovon soll der Kutscher leben.«
    »Hau ihm in die Schnauze, aber eine ordentliche Wucht.« Und schon hatte Motz einen Hieb in den Rücken. »So, und jetzt zahlt ihr den Kutscher, und dann Abmarsch, Drecksäcke.« Brose, verdattert, zahlte, er mußte auch für die zerbrochene Scheibe zahlen. Man ließ sie dann ruhig gehen. Als sie sich an der Ecke der Königgrätzer Straße umsahen, stand noch die Droschke inmitten des Haufens; der empörte Kutscher war in einer endlosen Debatte mit den Leuten begriffen, er beschimpfte sie, sie suchten ihn zu belehren.
    Darauf pendelten die beiden zu Fuß über den Potsdamer Platz und fuhren mit der Elektrischen bis zur Bülowstraße. Da, in einem wenig herrschaftlichen Haus, wohnte Brose unter dem Namen »Schröder, Finanzierungen«. Ein altes Dienstmädchen öffnete ihm, hinter dem Büro gab es ein Zimmer mit Küche und Nebengelaß. Brose wünschte zu essen, sie setzten sich in den Wohnraum unter der Gasflamme nebeneinander auf das breite Sofa, das offenbar auch zum Schlafen diente, und sprachen nicht, bis Brose plötzlich wieder finster erklärte, dieser Zug hätte ihn nicht weitergebracht. Die große Masse des Volks sieht gut aus und ist vertrauenerweckend, aber dieser Liebknecht. Motz aß und sagte: »Du mußt dich nicht auf eine Klasse festlegen. Natürlich gehören wir den besseren Ständen an, für die bist du tätig, und sie bezahlen dich. Mich auch, indirekt durch dich. Sonst bin ich natürlich verarmter kleiner Mittelstand, durch den Krieg ruiniert. Und schließlich habe ich neulich in Friedrichsfelde eine Parzelle in der Laubenkolonie gemietet, wir haben eine Organisation der kleinen Bauern und Landarbeiter gebildet, und wenn es nottut, lass’ ich mich zum Bauernrat wählen.« »Nicht schlecht«, meinte Brose verblüfft, »aber ich, meine Waggons?« »Ich werde dir Ausweise bei den Revolutionären verschaffen.« Brose: »Ist das wahr?« »So wahr ich hier sitze und esse, zarten Hammelbraten, zu dem mir aber Sauce fehlt.« Brose rief: »Guste, etwas Sauce, aber heiß.« Motz kauend: »Das Mädel kocht gut.«
    Auch in den Spielklub Fasanenstraße mußte Motz den unsichern Brose-Zenk begleiten, zu keinem weiteren Zweck, als Brose anzuhören und seinen Senf dazuzugeben. Man war in einer eleganten Privatwohnung, wurde von einer mittelalterlichen martialischen Dame mit flottem Schnurrbart begrüßt und den anwesenden Herren, die lesend und plaudernd herumstanden, vorgestellt. Brose kannte alle. Motz hielt es erst für ein Bordell. Brose lag aber, wie er Motz anvertraute, heute nur an einer wichtigen Persönlichkeit, die hier gelegentlich spielte, einem Mann von der Presse, der Beziehungen zu einem andern hatte, der wiederum vorzüglich mit der jetzigen Regierung stand. Und dieser Mann mußte wissen, wohin es ginge. »Wieso der?« flüsterte Motz, »vielleicht weiß es Ebert selbst nicht.«
    Brose schüttelte ihn bei den Armen: »Deine

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