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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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einzelstehende Dame, ein Fräulein, ein. Und wie sie in den ungeheuren Korridoren umherirrte, fand man auch, womit man sie beschäftigen konnte. Denn es gab im Land schließlich noch Frauen. Ja, mit der Abschlachtung der Männer wuchs ihre Zahl relativ. Da überwies man der alleinstehenden Dame milde und halbgelehrte Angelegenheiten. Der Vollständigkeit halber nahm das Fräulein in der Manteuffelstraße 49 Platz. Wenn man sie fragte, was sie tat, runzelte sie die Stirn und hauchte die mystischen Worte: »Soziale Fürsorge, Frauenberatung.«
    Geschlagenes Deutschland. Es wird keinem Volk ein größeres Glück zuteil, als wenn es seinem Hang nach Erhöhung nachgehen kann. Nur zu kauen und zu verdauen gefällt schon dem einzelnen nicht. Ein Volk gedeiht nicht sicher in seinen Gliedern, wenn es nicht aus sich heraus die hoheitsvollen Gestalten und Gebilde schaffen kann, an denen es wächst.
    Zu einer äußersten Probe, übermütig und gedankenlos, hatte sich das deutsche Reich gestellt. Seine Menschen und Reichtümer, Jugend und Alter, Erzeugnisse der Felder und Bergwerke, Erfindungen der Laboratorien hatte es in den Kampf geworfen. Es war sicher, den Strauß zu gewinnen. Es war besiegt worden. Nun war das Land nicht gestorben, seine Mittel nicht erschöpft. Aber seine Seele hatte es, ohne es zu merken, in den Entscheidungskampf geworfen.
    Dem alten Riesen, dem noch Rumpf und Glieder zuckten, war, so schien es, der Schädel eingeschlagen.

    Auf den 22.November, den Tag des französischen Einmarsches in Straßburg, zu warten, schien den Elsässern zu lange. Schon am Vierzehnten, knappe drei Tage nach dem Waffenstillstand, jubelten sie in Mülhausen. Ihren Augen bot sich am Abend ein entzückender Anblick. Die Vogesenkette zeigte sich von den Spitzen bis zu den Tälern illuminiert, in der süßesten Farbenzusammenstellung, die es für sie jetzt auf der Welt gab, in Blauweißrot. Raketen fuhren auf, die ersten Grüße der französischen Brüder drüben.
    In dieser Woche vor dem 22.November übten sich, wie manche andere, auch die einheimischen Sozialisten im Leisetreten. Und es lief ein Gerücht um, daß sie schon Zeitungsartikel vorbereitet hätten, in denen sie zugleich mit dem deutschen Reich dem deutschen Sozialismus einen heftigen, abtrennenden Fußstoß versetzen wollten. (Ach, man hatte die rote Fahne auf dem Münster begrüßt! Nun, das waren Konzessionen an die Zeit, die rote Fahne war grade da, wer wird nicht einen alten Freund auf der Durchreise begrüßen!)
    Unermüdlich und sehr geschickt bewegte sich Herr Peirotes, Bürgermeister und Sozialist dazu. Er sprach mit einem Straßburger Bankdirektor und einem Automobilvertreter. Und die beiden erboten sich, direkt mit den Franzosen Fühlung zu nehmen. Wozu? Nicht um das magische Licht, das die französischen Brüder bei Mülhausen über die Vogesenkette gossen, auch nach Straßburg zu ziehen. Sie dachten an die vielberufenen Weizen- und Weinzüge, die in Nancy stehen sollten, und planten, den Mund der Straßburger nicht bloß zu einem anerkennenden Ah, sondern zu einem dankbaren Biß und Schluck zu öffnen. Sehr hinterhältig kamen sich der Bankdirektor und der Automobilvertreter vor, als sie sich Markirch näherten, wo Baracken brannten und deutsche Truppen eben von den Bergen herunterzogen. Sie hatten es vielleicht doch zu eilig, während der Kranke noch lebte, schon zum Leichenschmaus zu erscheinen. Aber dann trafen sie auf mächtige Löcher in der Chaussee und auf ganze Bataillone französischer Jäger zu Fuß, und da legte sich ihr Zweifel. Sie fuhren durch Saint-Dié. Wie ein Lauffeuer verbreitete es sich: Straßburger sind da. Sie waren glücklich. Sie fühlten, nach zwei Wochen würde kein Hahn in Saint-Dié mehr danach krähen, wenn ein Straßburger erschien. So nahmen sie freudig den Rahm weg. Und als sie sich in Bruyères beim Divisionskommandeur des 10. Armeekorps zeigten, lud man sie zum Souper ein. Es herrschte große Freude, bei den Offizieren über die Freude der Straßburger, bei den Straßburgern über die Freude der Offiziere, ferner daß man sich den Milch- und Honigströmen von Nancy näherte. Mit neuen Pneus, Benzin und Öl ausgestattet, damit sie auch wirklich Nancy erreichten, so fuhren sie über Epinal und sprachen in Nancy den Präfekten Mirman. Es war derselbe Mirman, den wir wenige Tage später als Zivilkommissar in Metz antreffen werden. Der Bankdirektor und der Automobilist konnten froh sein; tausend Zentner Kaffee waren schon nach

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