November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
als Staatssekretär, ein Straßburger mit starkem, langausgezogenem Schnurrbart. Er versah auch das Amt eines Schloßhauptmanns der Hohkönigsburg.
Zwei Kammern hatte man geschaffen, damit sie den Landtag bildeten, für die Größen des Landes die Erste Kammer, für die Kleinen die Zweite. Die Größen waren die Bischöfe zu Straßburg und Metz, die Präsidenten des Oberkonsistoriums der Kirche Augsburgischer Konfession, die Präsidenten des Synodalvorstandes der reformierten Kirche, die Präsidenten des Oberlandesgerichts. Es war auch gedacht an einen Vertreter der Universität Straßburg, der städtischen Handelskammern, des Landwirtschaftsrats, der israelitischen Konsistorien, ja sogar der Arbeiterstand durfte drei Vertreter schicken.
Es saß in dieser Ersten Kammer für die Stadt Straßburg ihr kluger und bemühter Berufsbürgermeister Schwander, ein rechtskundiger Mann aus Kolmar. Vom Kaiser ernannt zeigten sich ein Graf Arnim aus Potsdam, der aber bei Metz wohnte, adlige Gutsbesitzer, Fabrikherren, Kommerzienräte, der Weihbischof von Straßburg, der ein Zorn von Bulach war wie der Staatssekretär. Sorgsam waren die Edlen in Bezug auf Religion ausgewogen: neunzehn schworen katholisch, neunzehn protestantisch, einer altkatholisch, einer israelitisch. Dreiundzwanzig Herren durfte Elsaß-Lothringen hergeben, siebzehn mischte Altdeutschland ihnen bei. Und sie waren recht alt, keiner unter vierzig, vier über siebzig und zehn zwischen sechzig und siebzig. Zu den ältesten aber gehörte der berühmte Strafrechtslehrer Laband, er näherte sich den ehrwürdigen Achtzig.
Da bot die Zweite Kammer ein anderes Bild. Sie war aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervorgegangen und barg die jungen Raben, die Habenichtse, vor deren Schreien die Erste Kammer sich die Ohren zuhalten sollte. Diese Herrschaften hatten sich, um ihren Lärm zu vermehren, in Parteien zusammengerottet und zu ihrem Präsidenten den Sanitäts- und Anstaltsarzt Ricklin gewählt, der aus Dammerskirch stammte, einen sehr freundlichen Herrn, durch seinen Beruf an den Umgang mit aufgeregten Personen gewöhnt. In der Kammer unter ihm hockten die begehrlichen sechzig Mann, dabei ein Restaurateur, ein Schreiner, ein Bergarbeiter, neben den unvermeidlichen Advokaten, Redakteuren und Ziegeleibesitzern. Das Öl der Nachdenklichkeit suchten vergeblich auf sie milde Professoren zu gießen, die Sozialdemokraten ballten noch aus alter Zeit her die Faust, blieben aber umgängliche Leute und Freunde der Geschäftsordnung. Mehrere Priester rafften ihre schwarzen Roben und boten ihre Superklugheit aus, die Nachfrage war gering, sie konnten aber auch so ihrer Macht hierzulande sicher sein.
Das große Gesetz von 1911 verhinderte nicht, daß im Oktober dieses Jahres 1918 der elsässische Abgeordnete Haegy im Reichstag aufstand und erklärte: »Die Kriegsverhältnisse haben die Dinge rasch reifen lassen. Im Reich und bei uns. Es hat der trüben Situation bedurft, in deren Mitte wir heute stehen. Heute endlich hat man erkannt, daß mit einem System gebrochen werden mußte, das man fünfundvierzig Jahre mit zäher Bissigkeit festhielt. Wenn ich dieses System mit einem Wort kennzeichnen darf, so war es eine Fremdherrschaft auf dem Boden unseres Landes.«
Mit seinem Kneifer bewehrt erhob sich nach ihm der so gelassene Präsident der Zweiten elsässischen Kammer, der Sanitätsrat Ricklin: »Machen Sie sich keine Illusionen«, sagte er freundlich, wie er zu seinen Abgeordneten in Straßburg und zu seinen Patienten zu reden pflegte. »Geben Sie sich keinen falschen Ideen hin. Man erreicht damit nichts. Wir jedenfalls haben die Gewissenspflicht, dem deutschen Volk die volle Wahrheit zu sagen. Es soll wegen Elsaß-Lothringen keine trügerischen Hoffnungen hegen. Unsere Wähler haben uns seinerzeit, es war noch vor dem Krieg, beauftragt, für Elsaß-Lothringen wenigstens eine bundesstaatliche Selbständigkeit im Rahmen des deutschen Reiches zu erlangen. Die Dinge sind weit über den Auftrag von damals hinweggeschritten. Unser Mandat ist durch die Verhältnisse überholt.« Man konnte nicht deutlicher sein.
Wie gewaltig, seiner Sache quasi für alle Ewigkeit sicher, hatte in Straßburg das stellvertretende Generalkommando des 15. deutschen Armeekorps residiert.
In der Brandgasse 11 thronte er selbst, Seine Exzellenz der Kommandierende, dazu der Chef seines Stabs, ein Generalmajor, Adjutant, ein Hauptmann der Landwehr. Es saß da die Abteilung 1 a, und ihre
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