November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
schmückte sich, so gut es die Armut der Zeit erlaubte. Sie sah schon lieblich und wunderbar neu aus.
Vor dem Justizpalast, in dem der Arbeiter- und Soldatenrat tagte, sammelte sich an diesem Mittwoch, den Zwanzigsten, gegen Mittag ein kümmerlicher Haufen Menschen. Die Feldküchen rauchten wie sonst im Erdgeschoß, die paar Leute, die da standen, keine Neugierigen und Aufgeregten, warteten friedlich auf ihren Teller Suppe. Es war die Stunde, wo drüben im alten Reich, in Berlin, in der finsteren aufgewühlten Riesensiedlung, sich der große Trauerzug der Männer und Frauen vom Tempelhofer Feld her in Bewegung setzte. Vor knapp einer Woche waren in Straßburg die revolutionären hundertachtzig Matrosen hinter ihrer roten Fahne am Finkmattstaden anmarschiert, nachher sperrten Soldaten mit quer gehaltenen Gewehren den Eingang (wir wissen, zu den Abgewiesenen gehörte auch der Pfarrer unseres elsässischen Städtchens und die Oberleutnantswitwe). Da hockte im Schwurgerichtssaal das letzte Häuflein der Revolution beieinander und sprach einander Trost zu. Ein gutes Dutzend von ihnen mußte sich beeilen, um über die Grenze zu kommen, die Rheinbrücke mußten sie bis morgen mittag zwölf Uhr passieren, aber nach zwölf würden sie gefangen.
In einem wehmütig milden Aufruf baten sie um gutes Wetter: »Der jahrelange Krieg«, so behaupteten sie, »hat den Revolutionsgedanken auch bei denen zur vollsten Reife gebracht, die sich nie um Politik kümmerten. Die hauptsächliche Pflicht besteht darin, Ruhe und Ordnung zu bewahren. Die Sozialdemokratie, welche die Bewegung hervorgerufen hat und die Macht vorläufig in Händen hält, verlangt von jedem Genossen, am Aufbau der neuen Ordnung mitzuarbeiten. Ohne Ruhe und Ordnung gehen wir der Auflösung und dem Hungertod entgegen. Haltet euch von Ausschreitungen fern. Maßt euch keine Rechte an. Haltet euch nicht unnötigerweise auf der Straße auf. Kinder und Jugendliche sollen nicht mit Feuerwerk spielen, jede Knallerei führt zur Erregung der Bevölkerung.« Es waren guterzogene Revolutionäre, die das schrieben. Die Bürger der Stadt lasen mit Interesse und Wohlgefallen, man wollte sie nicht aufregen. Die rote Fahne wurde darauf am Münster, ohne Widerstand, um drei Uhr nachmittags, heruntergeholt. Um diese Zeit traf auch, unbemerkt, eine mehrköpfige Kommission höherer französischer Gendarmerieoffiziere in Straßburg ein, um sich über die Sicherheitsverhältnisse in der Stadt zu orientieren.
Letzte Sitzung des Soldatenrats unter dem Sergeanten Rebholz, dem langen ernsten Mann. Er gab einen Rechenschaftsbericht über die zehn Tage seiner revolutionären Regierung, dankte dem Nationalrat, erklärte, daß Briefe über die Schweiz gingen und versicherte zum zehnten Mal, jedoch unter absolutem sturen Schweigen der Anwesenden, die größtenteils Elsässer waren, daß die französische Delegation versprochen habe, es bei der bisherigen Zivilgewalt zu belassen. Er blickte auf seine Art lange und Antwort heischend, beinah bittend in den großen, ehemals von Getümmel erfüllten, jetzt öden Saal, der sich schon kräftig wieder in einen Schwurgerichtssaal zurückverwandelte und auch das Urteil über Rebholz sprach: nämlich er, der so gerne bleiben wollte, müßte wandern. Er setzte sich verbissen. Einer aus dem Nationalrat dankte ihm und allen andern. Er wünsche der deutschen Republik Glück in Bausch und Bogen. Das Samenkorn der Internationale werde in den Herzen der Menschen aufgehen. Was sollte man groß sagen.
Darauf sprachen laut diejenigen, die bald verschwinden würden, die Elsässer weniger laut. Aber sie dachten alle dasselbe: Was haben wir geschafft? Die rote Fahne am Münster ist schon herunter, unsere Versammlungen waren schlecht besucht, man hat Sicherheitsdienst getan – ein schäbiges Resultat. Sie legten einer dem andern in diesem großen Saal ans Herz, die Revolution zu schützen, sie ist die Völkerverbrüderung. Sie waren gute Leute, die Zeit war beschränkt, um zwei sollte der Saal frei sein für eine gründliche Säuberung. Und ein Mitglied drängte besonders auf Pünktlichkeit, ein Straßburger Tischler, er sollte die Bänke reparieren, die man im revolutionären Elan zerstört hatte.
Die Hierbleiber trösteten die Abwanderer. Sie schworen: ja, die Saat der Internationale wird im Herzen der Elsässer aufgehen. Sehr wahrscheinlich kam es ihnen nicht vor, aber es war die Stunde des Gelobens, und man mußte etwas für die Erinnerung tun. Übrigens hatten sich
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