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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Straßburg unterwegs.
    Und was den Weizen und den Wein anlangt, so erlebten nach wenigen Tagen, am Sonntag, die kleinen und im Krieg geborenen Kinder in Straßburg ein wirkliches Wunder. So wie man Hunde erst langsam hündisch gemacht hat – wahrscheinlich waren sie früher Wölfe und holten sich ihre Beute aus dem Wald, jetzt liegen sie einer älteren Dame auf dem unfruchtbaren Schoß, essen eingeweichtes Brot, haben einen kurzgeschnittenen Schwanz, und alle paar Jahre macht man aus ihnen eine andere Rasse, weil bei den alten Damen der Geschmack wechselt, immerhin weiß doch der Pinscher, er ist ein Hund –, so hatte man den Kindern eingeredet, sie essen Brot, und sie hatten es dafür gehalten. Es war auch tatsächlich aus dem Bäckerladen gekommen, wie sich Kinder, die an der Hand der Eltern gingen, überzeugen konnten. Was aber in der Tiefe des Bäckerladens oder im Backraum unter ihm vorging, das blieb ihnen verborgen. Und so konnte in ihnen der Irrtum entstehen, sie essen Brot. Sie merkten die Wahrheit so wenig wie ein Kranker, der bei einem Kurpfuscher Gichtpillen kauft und Dreckkügelchen erhält. Es buken die Bäcker Brot, und in das Brot hinein alles, was ihnen in die Hände fiel und was ihnen ihre Gilden und die höheren Behörden, denen nichts Menschliches und Unmenschliches fremd war, vorschlugen.
    Denn es war Krieg. Und wenn die Kupferkessel verschwanden, und die Türklinken, die Backpfannen, die Kasserollen, die Blecheimer, die Fruchtkocher, und das Geld sich aus Gold in Kupfer mit Messing und schließlich in Papier verwandelte, so konnten der Käse, die Butter, die Wurst, das Fleisch, das Brot nicht standhalten. Welchen Vorzug soll, für eine kriegführende Macht, der Inhalt eines Einmachkessels vor dem Einmachkessel selber genießen? Waren doch sogar die Menschen, die man in Millionen besaß, allmählich aus gewöhnlichen Personen, die ihre Angelegenheiten verrichten und Steuern zahlen, verwandelt und vereinfacht worden zum Stand von Kriegern in Schützengräben, Drückebergern in der Etappe und Helden im Hinterland. So roch jetzt zwar noch der Käse, jedoch konnte niemand mit Sicherheit sagen, wonach. Die Wurst enthielt Fleisch, aber nicht einmal das stand fest. Denn die Ochsen und Kälber flohen vor der Militärbehörde, sie entschwanden wie mit Flügeln aus dem menschlichen Bereich, und niemand weiß, wohin sie im Schrecken des Krieges gerieten.
    Das Brot aber erinnerte in seiner Zusammensetzung an den seligen Garten Eden. Alles Gewürm, Getier, alles was über der Erde und unter ihr fleucht und kreucht, ferner alles, was sich auf der Erde vorfindet, sei es schwankendes Gras, sei es Borke vom Baum, sei es Gemüse, Sohlenleder, Glas in Scherben, seien es Hemdenknöpfe, Heftpflaster und Eisenbahnbillets versammelte sich in dem einfachen Brot, so daß später ein deutscher Gelehrter sagte und ein Buch darüber veröffentlichte: Man möge die Erinnerung an dieses Brot nicht erlöschen lassen. Es sei eine der genialsten Erfindungen der Neuzeit: zwar ein Brot und als solches verkäuflich und eßbar mit geringen Verletzungen des Darms, aber zugleich ein Museum durch die Anzahl der in ihm auf engstem Raum zusammengebrachten verschiedenen Artikel aus Natur, Kunst und Technik, zugleich ein Schlaginstrument durch seine Härte, zugleich ein erstklassiger Nährboden für Schimmelpilze jeder Sorte, zugleich eine Dampfmaschine, und zwar dies im Darm des Menschen, wo es in kürzester Zeit Dampf und Qualm und Gas von solcher Menge entwickle, daß man bei Fortdauer des Krieges daran denken müsse, Menschen, die dieses Brot essen, an brachliegende Fabriken anzuschließen, um dem Kohlenmangel abzuhelfen.
    Was war das nun für ein Wunder für die Kinder, am Sonntag vor dem Einmarsch der Franzosen, als ihre Mütter sich vor sie setzten, sie mit dem Ruf: »Put, put, put« zu sich herlockten und ihnen etwas Hellbraunes, Goldblondes, Duftendes hinhielten, das, wenn man es brach, gelblichweiß war und das sie essen sollten? Was es war? Die Kinder lernten um. Es war Brot. Ein Bankdirektor und ein Automobilvertreter hatten dies bewirkt.

Der eine schmückt sich, der andere verschwindet
    Wie der graziöse Nebel, der immer wieder die Stadt überfiel, ähnlich dem Nebel der neuen Hauptstadt Paris, so wehte nun Rausch nach Rausch über Straßburg, das sich ernst und fröhlich mit seinen vielen lieben kleinen Angelegenheiten beschäftigte und sich für den Empfang der Befreier festlich bereitete. Die Stadt säuberte und

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