November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
unheimlich viele von dieser Schlußsitzung gedrückt.
Einige Soldaten äußerten die Befürchtung, man werde sie beim Abmarsch überfallen. Herzhaft erhoben sich die Obmänner der Bürgerwehr und verpflichteten sich, die letzten Truppen bis zum Rhein zu begleiten. Ein Hauptmann war anwesend, er rief, er werde ohne Sorge als letzter deutscher Soldat das Elsaß verlassen.
Noch einmal redeten einige Altdeutsche, deren Revolution ja, wie sie mutig verkündeten, jetzt erst richtig losgehen sollte. Und darum würden sie Mann für Mann freudigen Herzens über den Rhein ziehen. Sie hielten den Elsässern, die den Mund aufrissen, vor, worin in Zukunft deren Aufgabe bestünde: Elsaß-Lothringen zur Brücke zwischen Frankreich und Deutschland zu machen, auf der die internationale Revolution marschiere. Dreimal hoch ließ man darauf diese Revolution leben.
Eine Resolution wurde zum Schluß verlesen: »Es war nicht möglich, in Elsaß-Lothringen die Anfangserfolge der Revolution zu sichern. Aber keine Gewalt kann uns zwingen, unsere internationalen Bestrebungen zurückzustellen.« (Im Entwurf stand »die Revolution fortzusetzen«, aber das nahmen die Elsässer nicht an, das könnten sie nicht ausbaden, eine neue Kommune mochten sie nicht.) Dann forderte der Soldatenrat die Angestellten, Arbeiter und Bauern auf, sich geschlossen unter dem Banner des internationalen Sozialismus zu sammeln. Ein Reichsdeutscher brüllte: »Das hat man doch schon vor dem Krieg gesagt.« Ein anderer nahm seine Mütze und ging: »Wenn das der historische Materialismus ist, dann müssen wir auch mal mit dem aufräumen.« Rebholz schwang finster die Arme auf der Rednertribüne: »Vorwärts zu Kampf und Sieg.«
In eine benachbarte Brasserie ging danach eine stark verminderte Zahl der Elsässer, nachdem man noch beschlossen hatte, gemeinsam in den Arbeiterrat überzutreten. Ein Doktrinär, ein jüngerer Lehrer, der keiner Partei angehört hatte, erklärte plötzlich, nach Toresschluß, alles für feigen Kompromiß und verlangte nun in der Brasserie, man solle es im Arbeiterrat besser anfassen. Sie kamen in der folgenden Woche auch wirklich noch manchmal heimlich zusammen, wurden aber weniger und weniger.
Zuletzt saß der Lehrer nur noch mit einem einzigen, und zwar mit dem, für den er das Glas Zider bezahlte, nämlich mit sich selbst. Stumm saßen sie eine geschlagene Stunde in dem durch und durch revolutionären, sonst friedlich holzgetäfelten Zimmer.
Und Roß und Reiter sah man niemals wieder.
Der Obermatrose Thomas wanderte derweil schon in Begleitung des Neuköllner Bottrowski den nebligen Rhein abwärts. Beide trugen graugrüne Soldatenmäntel. Als die Franzosen in Metz einmarschierten, waren sie auch da. Sie fielen nicht auf, Thomas sprach unverdächtiges Dütsch, und Bottrowski hielt sich im Hintergrund. Sie freuten sich beide, Metz kennenzulernen. Sie konnten sich von dem Land nicht trennen. Es leuchtete ihnen nicht ein.
Als die letzten deutschen Truppen zwischen den stummen und finstern Menschenmauern unter einem bleiernen Himmel die Stadt Metz verließen, sagte Thomas zu seinem Kameraden: »Ich kann’s verstehen. Bei uns in Straßburg wird’s noch anders zugehn, bei uns werden sie pfeifen und knallen. Die hier sind schwerfällig, die Lothringer.« Bottrowski trottete neben ihm, der Mund war ihm zugefroren. Er sagte nur, was er unterwegs immer wieder vorbrachte: »Wie kommt man aber weiter?« Thomas war unterwegs gesprächiger geworden: »Ich warte auf den Tag, wo sie im Elsaß merken, was Revolution und Sozialismus ist. Dazu müssen wir erst mal die deutsche Revolution weitertreiben. Mit Peirotes habe ich gesprochen, und seine Freunde waren dabei. Der brüllte mich an und lachte: Unsere Revolution, sagte er, besteht darin, die Preußen zu verjagen, und das besorgen für uns die Franzosen, und die haben’s bei euch auch besorgt. Ihr habt ihnen bloß einen kleinen Tritt nachgegeben. Bottrowski, der Mann hat recht. Aber bei uns geht’s weiter. Für uns ist die Revolution noch mehr, als bloß den Preußen einen Tritt geben. Und dann meinte er noch, er möchte nicht in unserer Haut stecken, wenn bei uns die Preußen wieder kommen und die Franzosen sie machen lassen. Denn nachher wären sie allesamt bloß Kapitalisten, und eine Hand wäscht die andere.« »Warum sagt sich der das nicht selber?« »Weil er ein Mehrheitssozialist ist. Der hält bloß Reden. Sonst frißt er die Knochen, die ihm der Kapitalist zuwirft. Der geht auch morgen
Weitere Kostenlose Bücher