November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
unglückseligen Abmarsch von 1870 erduldet hatte, sollte der triumphierende und entsühnende Einzug der französischen Armee erfolgen.
Ein verwegener Haufe Straßburger fühlte am Donnerstag, dem Vortag des Einzugs, den Drang, etwas Entscheidendes und Radikales zu vollbringen, etwas, was hinter den Taten der andern nicht zurückstünde. Sie warteten damit bis zur Dunkelheit. Und da bemächtigten sie sich, wie es stiller geworden war, eines gewaltigen Seils und zogen mit ihm und einigem Handwerkszeug bewaffnet, mehrere Mann hoch, Zivilisten, Soldaten und Matrosen, auf ein Abenteuer durch die Stadt aus. Wer wissen wollte, was sie mit Seil und Handwerkszeug vorhatten, mußte sich ihnen schon wohl oder übel anschließen. Und da waren es bald Hunderte, die dem Seil, dem Schiffstau folgten, das vier starke Mann inmitten des Haufens auf den Schultern trugen. Ein paar an der Spitze sangen die Marseillaise, die andern, die mit ihrem Französisch noch nicht soweit waren, begnügten sich zu johlen. Sie zogen über die Theaterbrücke auf den weiten Platz vor den schwarzen stummen Kaiserpalast. Vor dem Kaiserdenkmal hielten sie. Mit Gesang und Gebrüll umgaben sie es. Auf das Kaiserdenkmal hatten sie es abgesehen. Das hatte man schon in Voraussicht der kommenden Dinge mit Holzbrettern verkleidet. Die Latten waren aber leicht abgerissen.
Das Denkmal stand frei. Ein paar Mann sprangen auf das Piedestal, und jetzt wurde die Rolle des Schiffstaus klar: man legte es der bronzenen Kaiserfigur dreimal um den Rumpf. Und dann, während sie von oben heruntersprangen und ein großer Kreis freigemacht wurde, begann ein regelrechtes Tauziehen unter aktiver und anfeuernder Beteiligung des ganzen versammelten Volkes. Ihr »Ho hü« tönte regelmäßig über den Platz. Ein Zittern oben, ein Nachgeben, ein sichtbares Schwanken, und nun ein gelles allgemeines »Ho hü«, ein Schrei, und knackend beugte sich die Bronzefigur vor und schmetterte krachend, splitternd vornüber auf die Steinquader hin. Der Jubel, das Getümmel. Und nun trat das Handwerkszeug in Funktion. Sie waren auf alles eingerichtet, man hatte alles vorbedacht. Sie hockten zu drei und vier auf der zerschmetterten Figur, meißelten, hämmerten, drückten. Mit einem Knirschen brach der Bronzekopf ab. Die Arbeit war beendet. Das lange Seil schlangen sie um den Bronzekopf Wilhelms I. und zerrten ihn, daß er über die Steine klirrte und holperte, vor das Denkmal ihres elsässischen Generals Kleber. Dem Helden der großen Revolution legten sie unter Hallo den Kopf des preußischen Eroberers zu Füßen. Matrosen kletterten auf den Sockel, schwangen Fahnen und hielten Ansprachen.
Es war ihnen noch nicht genug. Sie wußten noch anderes. An der Hauptpost prunkten hoch von der Front drei Kaiserstatuen herunter. An sie wollten sie heran, aber wie. Sie alarmierten die Feuerwehr. Die sollte ihnen ihre Leitern zur Verfügung stellen. Die Pompiers kamen mit fröhlichem Klingeln an und wären gern bei dem Geschäft gewesen, und am nächsten Tag zeigten sie sich mit kräftiger Blasmusik als gute Elsässer und Feinde der Unterdrückung. Aber ihre Leitern gaben sie nur für einen Brand her. Das lag ihnen so im Blut, und davon waren sie nicht abzubringen. Sie palaverten lange und lachten mit dem Sturmtrupp. Zum Schluß aber bimmelten sie heftig, man machte Platz und sie fuhren ab.
Kleine Tagesnachrichten, Berlin
In Berlin, im Reichstagsgebäude tagten deutsche Dichter, Schriftsteller, Künstler. Es sollte nicht heißen, daß, wo sich alles regte, der Geist beiseite stand.
Sie waren von dem alten Militärregime niedergehalten, ja verachtet worden. Sie traten aus ihren Winkeln hervor, ja mit einem Kopfsprung wagten sie sich an das öffentliche Leben. Es gab klare geschulte Männer unter ihnen, tapfere und disziplinierte, die wußten, was sie wollten, und die bremsten. Aber es ging unaufhaltsam auf das alte offene Meer der Weltverbesserung hinaus, wohin die Sirenenrufe lockten, wo Scylla und Charybdis warteten, um sie zu zerschmettern, und wo eine Göttin lauerte, eine Dämonin, um sie aus klugen Menschen in Narren zu verwandeln.
Sie hatten einen großen Raum besetzt, an dessen Tür sie ein Schild klebten mit der Aufschrift: »Rat der geistigen Arbeiter«. Von da aus verkündeten sie gewaltige Dinge.
Die vierzehn Punkte Wilsons stellten sie spielend in den Schatten. Sie verlangten, wie das damals jeder Mann tun mußte, der etwas auf sich hielt, die Befreiung der Arbeiter vom kapitalistischen
Weitere Kostenlose Bücher