November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Volk, unser Land wird bleiben und wird nicht untergehen. (Denn der Glaube macht selig und versetzt Berge.)
Wir haben es schaudernd erlebt, daß der Geist nicht fühlbar ist. (Man könnte diesen Schwulst eigentlich streichen. Nein, wir wollen ehrlich sein. Das ewige Krakeelen wächst einem zum Halse heraus. Wer krakeelt? Fangen Sie nicht schon wieder an.) Die Liebe aber ist fruchtbar und schaffend (Sagen Sie bloß noch »zeugend«.), und sie strömt nur aus einem wahren Herzen. Laßt uns also nicht nur unser Brot mit den Brüdern teilen, die aus dem Felde heimkehren, wir wollen ihnen auch unsere wahren Herzen entgegentragen. (Darauf werden sie händeringend verzichten. Das sind eitel Redensarten. Wen denken Sie damit selig zu machen. Wir sind nicht dazu da, die Leute selig zu machen, wir sind nicht die Regierung. Dann sagen Sie besser gar nichts.) Mit einer klaren und furchtbaren Logik wurde, man möchte sagen, menschliches Planen durch göttliches ersetzt. (Davon verstehe ich kein Wort. Warten Sie doch ab, Herr, Sie werden doch einem Gedankengang folgen können.) Aber obgleich es so ist und obgleich vor der Gewalt dieser so bewirkten Umwandlung jedes Wort als gebrechlich erscheint, erkennt doch der Sehende schon in dem, was sich gleichsam von selbst in neuer Form durchgerungen hat, das alte, kraftvoll besondere Wesen der Deutschen unversehrt. (Heil dir im Siegerkranz! Ich bitte endlich zu schweigen.) Und wer lebt, wird, in nicht allzu langer Zeit, dessen sind wir gewiß – den deutschen Boden mehr als je in Blüte sehen. (Dessen sind wir gewiß, gewiß! Redensarten. Zum Donnerwetter, wir können kein Brot liefern. Darum müssen Sie doch nicht Phrasen liefern. Wir ermutigen, das ist unser Amt. Kohl.) Seit einem Jahrtausend hat die deutsche Natur nichts erlebt, was an Bedeutung dem Ereignis der letzten Tage gleichgesetzt werden kann. Wer es versteht, fühlt die unvergleichliche Macht. (Ich merke nischt. Wozu sitzen Sie denn hier? Lassen Sie das meine Sorge sein.) Auch die neue Regierung möge auf uns rechnen, wo sie unser Wirken für ersprießlich hält. (Kriecht nur! Was wollen Sie denn tun? Den Scheidemännern zeigen, was eine Revolution ist. Warum reden Sie nicht Fraktur mit dem Verräterpack? Ruhe! Wir sind keine politische Versammlung. Was sind wir denn?) Keiner von uns zögere, im Wohlfahrtsdienst des Friedens das Seine von Herzen zu tun. (Das ist aber nicht anzuhören! Das ist ja greulich! Ich trete aus dem Rat aus. Wir stimmen ab.)«
Das Manifest wurde, nachdem man sich faustdicke Beleidigungen zugeworfen hatte, mit einer kaum sichtbaren Majorität angenommen, die von der Gegenseite noch dazu als Zufallsmajorität herabgesetzt wurde. Man endete mit einer langen Geschäftsordnungs- und Statuten-Debatte, mit Anträgen auf Statutenänderung tief in der Nacht.
Wie es spät, gegen zwölf Uhr war, die Sitzung noch andauerte und nur noch von wenigen unterhalten wurde, erschien in dem überheizten Raum zwischen den unordentlichen Stühlen der Dramatiker Stauffer, ein älterer freundlicher Herr, klein, mit einem weichen dunklen Schnurrbart. Man hatte Stauffer schon gelegentlich hier gesehen, immer stumm. Er schrieb Novellen und sehr geschätzte Theaterstücke, meist mittelalterliche Stoffe, auch allegorische, fein ziselierte Reimwerke. Er hielt sich sehr zurück. Jetzt setzte er sich mit einem jungen langen Lyriker zusammen, einem lebhaften Menschen mit einem großen dunklen Wollkopf, der zu den neuen Menschheitsdichtern gehörte. Sie plauderten. Den Kopf am Fensterbrett aufgestützt, hörte der sehr elegante Stauffer, der schon zu einer gewissen Fülle neigte, leicht müde den beredten Lyriker, einen wahren Apostel der neuen Dinge an. Er belebte sich im Zuhören. Aufmerksam, ja besorgt, folgte er den Worten, die seinem Gegenüber so mühelos von den Lippen flossen. Er informierte sich offenbar. Der lange Hymniker machte seinem älteren Kollegen Komplimente, daß er sich hierher bemühe und seine hohe Warte verlasse. »Durchaus nicht ironisch gesprochen. Ich bin Ihr aufrichtiger Verehrer. Ich habe alles verfolgt, was Sie schreiben.« Stauffer: »Sie sagen hohe Warte. Sie meinen elfenbeinernen Turm«, er dankte für die Zigarette, die ihm der Jüngere anbot, »natürlich, was meinen Sie. Und Sie haben nicht unrecht, in mancher Beziehung, ich fühle es selbst.« »Und darum sind Sie uns besonders willkommen.«
Mit einem großen Freudengeschrei und breitem Lachen näherte sich von vorne ein stämmiger athletischer
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