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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Sanitätspersonal.
    Eisiges Schweigen bei der Mitteilung, daß der Kölner A.- und S.-Rat von Hindenburg ins Große Hauptquartier geladen sei, die Kameraden Sollmann, Schulte und Fuchsius seien auch gefahren und berichten, daß Hindenburg sich und die Armee der neuen Regierung zur Verfügung stelle, um ein Chaos zu verhindern. »Na«, meinte der trockene Rebholz, der wußte, daß er die Meinung der Versammlung auszudrücken hatte, »das sind schon Mitteilungen, die komisch klingen. Man sieht daraus, daß den alten Machthabern der Dampf noch immer nicht aus dem Schädel geblasen ist.« (Zwischenrufe: »Kalte Abreibung.«) »Bleibt eine Telegramm der gegenwärtigen Regierung in Berlin an uns, an uns, jawohl, an den A.- und S.-Rat in Straßburg, daß die kommende militärische Besetzung von Elsaß-Lothringen durch die Entente, die Franzosen, nichts über das endgültige Schicksal von Elsaß-Lothringen präjudiziere, soll heißen: daß, wenn hier besetzt wird, das noch lange nicht sagt, ob das Elsaß französisch wird oder neutral, oder ob es deutsch bleibt.«
    Darauf Stille. Rebholz blickte angestrengt in den großen Saal, die Wand hinter ihm sah greulich aus, an der dunkel getünchten Wand hatte ein viereckiges Bild, natürlich das Kaiserbild, gehangen, jetzt waren die Wände gebleicht, und ein schwärzliches Karree fiel wie ein Loch in die Wand. Neben Rebholz saßen an dem ehemaligen Richtertisch je zwei Mann rechts und links, die Bänke der Geschworenen trugen Soldaten. Es war der stillste Augenblick im Saal, seitdem heute morgen die beiden Wachposten mit Gewehr die Tür geöffnet hatten. Eine Stimme im Saal, hörbar elsässisch, nicht sehr laut, empfahl: »Übergang zur Tagesordnung.« Rebholz blieb merkwürdig starr: »Das genügt nicht. So kommen wir da nicht herum. Dazu muß man sich äußern, so oder so.« Aber die Stummheit war nicht zu durchbrechen. Es war nicht nur Stummheit und Unsicherheit im Saal, sondern eine gefährliche Spannung. Hier gab es Gegensätze, und das Gesicht von Rebholz sah danach aus, als ob er die Gegensätze kannte und selber energisch seinen Standpunkt vertreten wollte.
    Bis am Fenster auf der Geschworenenbank ein bärtiger Mann aufstand, militärische Haltung annahm und mit tiefer kräftiger Stimme in den Saal hineinrief: »Das Elsaß ist deutsch und bleibt deutsch.«
    Darauf, wie durch einen Funken ausgelöst, antwortete unten eine Stimme: »Es lebe die Weltrevolution!«
    Und wie ein Lauffeuer durch den Saal: »Es lebe die Weltrevolution, es lebe die Weltrevolution.«
    Sie erhoben sich neben Rebholz, auf sein Zeichen, die Geschworenenbänke folgten, der ganze Saal. Ein Delirium: »Es lebe die Weltrevolution!«
    Und schon klang vorne leise, von zwei, drei Männern gesungen, die Internationale. Der Gesang ergriff die Geschworenenbänke, stieg in den Saal herunter, erfaßte ihn in wenigen Augenblicken, brauste. Und von den alten finsteren Wänden, die nur Anklagen, bohrende Fragen, Lügen und Geständnisse gehört hatten und zwischen denen vor neugierigen Zuschauern sich sonst schwarzröckige Richter, Geschworene, Verbrecher, gebrochene und zerbrechende Menschen betrachteten, widerhallte das Lied. Schon daß man hier sang, war unerhört. Und dann die Internationale. Viele Soldaten kannten Text und Lied kaum. Wie aber der allgemeine Gesang um sie brauste, hatten sie den Wunsch mitzusingen und fühlten: kein Klassengesang, sondern Kriegsende, Friede, menschliche Freiheit.
    »Wacht auf, Verdammte dieser Erde.«
    Bei der zweiten Strophe trat jemand von rückwärts an Rebholz heran, der sich umwandte im Singen. Sie flüsterten miteinander. Der Bote steckte Rebholz einen Zettel zu. Scheinbar unberührt sang der Vorsitzende das Lied zu Ende mit, um, als man sich unter Klatschen und sehr geräuschvoll setzte, geschäftig mitzuteilen, daß er eine Pause eintreten lasse, während das Komitee die nächsten Punkte vorbereite. Er ließ sich nicht anmerken, während vor ihm die vier andern in das Richterzimmer herabstiegen, in welchem Zorn er sich befand auf die Mitteilung, daß die Berliner Regierung die Oberste Heeresleitung ausdrücklich eingeladen habe, das Kommando zu bewahren und daß die Frontoffiziere das Recht auf Degen und Achselstück behalten sollten. Wie er als letzter die Tür hinter sich zuwarf, verzog sich sein kaltes Gesicht, er rümpfte die Nase, griff nach dem ersten Stuhl und stellte ihn hart auf den Boden, formte böse die Worte: »Also es bleibt alles beim alten, es soll alles

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