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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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ja, du bist sündig und schlecht wie ich, Gott hilft uns nicht, ich helfe dir nicht, warum kommst du grade zu mir.
    »Und woran liegt’s heute, Köppchen?« »Jetzt ist er weg.«
    Die Musik. Sie spazieren den ganzen Tag herum. »In der Kaserne ist er nicht, keiner weiß, wo er ist.« »Oh, der kommt wieder, Köppchen.« Sie meint den Vater des Kindes, wir haben alle unser Vaterland verloren, wo ist Hilfe, wo finden wir Hilfe, mein Kind. »Meine Mutter hat mich gleich am Morgen runtergeschickt nach ihm, weil sie Revolution machen. Wir hatten gestern so viel Bestellungen für die Offiziersdamen, da haben wir in unserm Laden nichts von der Revolution gehört. In der Kaserne ist er nicht.« »So, so«, schmauchte der Pfarrer und sagte weiter nichts. Ich muß mich erbarmen, damit auch mir Erbarmen zuteil wird. Das fleißige Fräulein saß anklagend da. Er nahm sich zusammen und sagte: »Nun, ich werde an das Regiment schreiben, ich kenne ja den Oberst.« Sie reagierte nicht. Er fügte hinzu, milde, viel milder als sonst: »Wir müssen doch einen Vater für das Kind haben.« Ich werde seine Geburt hier nicht überleben, ich überlasse sie meinem Nachfolger, wer hätte so was für möglich gehalten.
    »Der ist aus Bayern, da wird er hin sein. Auf diesen Vater verzichte ich. Meine Mutter sagt es auch.« Der Pfarrer murmelte, er hatte kaum zugehört: »So, so.« Darauf, um zu sprechen, gebrauchte er eine Wendung, die ihm immer kam, wenn er nicht weiterwußte, und die meist Zauberwirkungen entfaltete: »Wie steht es um die Geldfrage?« Sie drehte ihm ihren Kopf zu, bekam rötliche Wangen und nickte energisch: »Wir haben jetzt Arbeit, Herr Pfarrer, die Offiziersdamen gehen weg. Wenn sie weg sind, wird es für uns schwer.« »Das tut mir leid, es kommen andere.« »So! Wer? Französische. Die lassen nicht bei uns machen. Wir hatten gutes Publikum. Für Bauern arbeiten wir nicht.« Der Pfarrer beruhigte sie; er hätte das auch nicht erwartet. Er dachte: Kunden kann ich ihr aber wirklich nicht verschaffen, wo bin ich in einer Woche, sein Blick irrte zu dem silbernen Christus, zu den Büchern, die vielen Bücher, der Transport, Allmächtiger, dieser Transport. »Es ist auch der Sohn vom Direktor Koch gewesen.« Er horchte auf. Was redete sie. »Was ist er gewesen?« »Wie er auf Urlaub war.« »Was? Ich versteh’ nichts. Was ist er gewesen?« »Hier.« »Gut, Köppchen, gut. Ich verstehe. Und was weiter?« »Da ist er am Sonntag zu uns in den Laden gekommen, wie ich den Hut von Frau Direktor fertigmachte. Er sollte ihn holen. Ich war noch nicht mal ordentlich angezogen, da hat er sich an mir armem Mädchen vergriffen.« Und sie plärrte wie auf einen Klingelzug los, als sie die Augen des Pfarrers groß und rund werden sah.
    Der Pfarrer saß da, er dachte plötzlich nicht an Sieg und Niederlage. Er war wach. Der Zorn des Priesters brauste durch ihn. Er sog an seiner Zigarre, jetzt bin ich soweit, jetzt schlag’ ich mit einem Donnerwetter drein. »Was ist da gewesen?« Sie plärrte: »Wie er auf Urlaub war. Am nächsten Tag, wie die Frau Direktor bezahlte, war er schon wieder weg.« »Der Sohn vom Direktor Koch, der Oberleutnant?«
    Der Pfarrer betrachtete, als wollte er sie fressen, das dürftige Fräulein. »Wann soll das gewesen sein?« »Das wollen wir noch in unserm Lieferbuch nachsehen. Wie wir den letzten Herbsthut für Frau Direktor machten. Den Winterhut hat sie ja aus Straßburg geholt.« Er stand auf. Er brüllte: »Du lieber, ich will wissen, ob es zur selben Zeit war – das andere, Sie wissen doch.« »Doch.« »Was doch?« »Da war es.« »Sie haben zwei auf einmal gehabt?« »Nicht auf einmal.« Sie bockte: »Er hat sich an mir vergriffen.« Sie fürchtete sich vor dem Pfarrer.
    Er marschierte schnaufend die Länge und Breite durch sein Zimmer, in das sie diesen Dreck trug. Er pflanzte sich vor ihr auf: »Und was soll ich damit, wertes Fräulein Köpp? Mit dieser Ferkelei? Und Sie schämen sich nicht, mir das zu erzählen? Dies, eine Schande, eine Schande ist das!« Die Niederlage, Revolution, Deutschland im Abgrund, ich pflanze mich davor auf, ich dulde es nicht, zu Boden mit den Verbrechern. Er keuchte: »Wie wagen Sie sich damit zu mir herauf, he?« »Weil der Bayer weg ist. Einer muß doch zahlen, Herr Pfarrer.« Aha, das hatte er von seiner Frage nach dem Geld. Er brüllte grimmig und verzweifelt: »Gewiß. Einer muß.« Und einer wird. Und er marschierte weiter. Auf, mein Deutschland, schirm dein Haus,

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