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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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beim alten bleiben.«
    Nach einer Viertelstunde zeigte sich der Vorstand wieder im Saal. Rebholz kniff die Lippen zusammen, räusperte sich, schwang die Glocke und begann mit eindringlicher Stimme: er habe bekanntzugeben, hier eine drahtliche Anweisung der Regierung in Berlin. Danach solle man den Herren Offizieren die Achselstücke und Waffen für die Demobilisierung lassen.
    Wildes Tohuwabohu, Hohngelächter!
    Der Sergeant ließ es sich abtoben. Er selbst verzog keine Miene. Auf den Geschworenenbänken organisierte sich ein Lachchor. Es gab da einen, der ansteckende Lachanfälle inszenierte. »Nu ist genug«, brüllte der Vorsitzende schließlich. Man beruhigte sich. Er legte das Blatt hin, fragte: »Zur Kenntnis genommen?« Strahlendes: »Ja.« Dann eine helle Stimme, einer drängte sich vor: »Schenk mir den Wisch.« Der Sergeant winkte ab.
    Fortgang der Debatte. Wie soll man es mit den Abzeichen halten, es laufen viele mit der Trikolore herum. Einer meldete sich. »Die Trikolore ist gradeso wie die schwarzweißrote Fahne ein Verratszeichen für die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.« Einer rief: »Man muß jeden auf seine Fasson selig werden lassen.« »So ist es«, meinte der Vorsitzende und ging zu einem andern Punkt über.
    Nun stand mitten in der Menge ein Landstürmer auf, den buschigen Kopf tief in den Schultern, ein heißes bärtiges Gesicht. Wie er dastand und sich nach hinten, wo man noch lachte, umdrehte, wurde es still. Er trug mit badensischem Tonfall nur einen Satz vor: »Man soll alle Straflisten vernichten.« Und setzte sich.

    Als sich die Menge während des Gesanges nach vorne drängte, gelang es Heiberg, sich von Bottrowski zu lösen, die Tür war aufgerissen, man sang auch auf den Korridoren. Unbeachtet verließ Heiberg den Saal, das Gebäude. Er lief über eine Brücke.
    Er atmete auf, knirschend bezwang er sich. In jedem Augenblick kann mich einer erkennen und meinen Namen nennen. Wie komme ich nach Hause, wie komme ich über die Kehler Brücke. Ah, wie sie mich jagen, es ist Revolution, es ist der Untergang. Er wird von johlenden Trupps mitgerissen, die vor deutschen Geschäften randalieren. Wie komme ich aus dieser Hölle heraus? Matt trifft er am Theaterplatz am Kasino seinen Freund, den Adjutanten beim Stabschef, der ihn nicht wiedererkennt, dann sieht, wie es um ihn steht. Er führt ihn in seine Wohnung hinter dem Broglieplatz. Heiberg: »Hätte ich gewußt, daß du hier wohnst. Vor ein paar Stunden hat mich hier ein Apotheker von unserer Garnison abgesetzt.« Und erzählt und erzählt, der Adjutant hört gespannt zu, umarmt ihn: »Sie haben deine Sache schon gemeldet, ich habe den Namen nicht verstanden.« Heiberg soll ruhig bis morgen in der Wohnung bleiben. Vielleicht bereitet sich überhaupt ein Umschwung vor. »Sei stolz auf deine Tat, sie wird belohnt werden. Die Roten wollen mit uns verhandeln, unsere Spitzen sind für heut abend zu einer Geheimsitzung eingeladen.«
    Heiberg erschöpft auf dem Sofa, eine Decke über sich, murmelt halb aus dem Schlaf heraus: »Das Elsaß ist deutsch und bleibt deutsch.« Es ist eine Erinnerung an den Justizpalast. Als Meißner ihn fragt, was er da redet, gibt er Details von der Sitzung. Der kleine Adjutant reibt sich die Hände und bereitet sich zum Gehen: »Heiberg, es wird einen Umschwung geben.«

    Als im Städtchen der Demonstrationszug einen Trupp an der Infanteriekaserne abgab, die Rekruten in die Schule abschwenkten und die übrigen mit Pauken und Trompeten über den Wasserturmplatz geführt wurden, um in die Kasernenstraße einzubiegen, öffnete der Pfarrer sein Fenster. Marschmusik und Hallo, herrliches Wetter. Aber er schloß das Fenster wieder.
    In seinem wohligen Arbeitszimmer ging er auf und ab. Zwei ganze Wände waren mit Bücherregalen bis an die Decke bestellt, auf dem Schreibtisch und auf der Chaiselongue lagen die Bücher, er hatte sie nervös herausgegriffen, drin geblättert und irgendwo hingelegt. Das Kaiserbild hing an der Wand über der Chaiselongue. Seit dem frühen Morgen wanderte er im Zimmer hin und her. Seit dem Morgen wogte es in der Stadt, in der lieben alten Stadt, in der er ganze fünfzehn Jahre gelebt, gepredigt, getauft, getraut, eingesegnet hatte. Seine Frau war in Stuttgart, der Sohn im Osten, und wie wird es jetzt im Osten sein, die Bolschewisten werden vordringen und unser Vaterland überschwemmen. O mein armes Deutschland.
    Und da blies es draußen wieder und näherte sich, ein Reiterzug, ein kleiner

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