November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
wieder: »Rein. Zum Donnerwetter.« Unzweifelhaft der Major. Hinten der Bursche mit dem Besen stand unbeweglich stramm, der General warf ihm einen bösen Blick zu, ich wette, daß mein Bursche jetzt auf der Treppe lauscht, aber er drückte auf die Klinke, trat rasch ein und schloß die Tür hinter sich.
Der Major saß in Hose und Hemd mit nackten Füßen auf einem roten Fauteuil neben dem Fenster, den Rücken gegen die Tür. Die Hosenträger hingen seitlich über der Lehne. Er hatte einen glühroten Kopf. Den wandte er ärgerlich nach der Tür, den Mund zu einem Donnerwetter geöffnet. Seine rechte Hand agierte ein dünnes Stöckchen, woran ein kurzer Lappen hing, eine Art Fliegenklappe. Mit einem Ruck sprang er beim Eintritt des Generals auf die Beine, das Stöckchen fiel auf den Boden, er hielt sich die Hosen, riß die Hosenträger über die Schultern: »Entschuldigung, Herr General.« Eine Zeitung neben ihm auf einer Fauteuillehne raschelte auf den Teppich. Der General an der Tür machte seine steife Verbeugung: »Bitte sich nicht zu inkommodieren«, und fixierte den Major. Er blickte sich im Raum um. Das Kaffeegeschirr stand auf dem Tisch, Tintenfaß und Feder daneben, er hat also auch unterschrieben, sonst war niemand da, der Major war wirklich allein. »Ich hab’ mir nur erlaubt anzuklopfen, Herr Major, glaubte, Sie sind in Gesellschaft.« Der Major: »Eine Minute. Wollen Herr General Platz nehmen.« Und im Nebenzimmer verschwunden.
In Hausjacke und Stiefeln trat er bald wieder ein, setzte sich in den Fauteuil neben den Alten, der die Mütze auf dem Schoß hielt und sofort anfing: »Es handelt sich nämlich um die sogenannte Bestattungsfeierlichkeit für die beiden Kerle.« Er beobachtete dabei scharf den Major, vielleicht war der Mann verrückt. »Möchte wissen, wie Sie sich dabei zu verhalten gedenken.« Der Major, der sich nicht gekämmt hatte, strich sich mit beiden Händen die struppigen grauen Schläfenhaare zurück: »Ja, das habe ich mir noch nicht überlegt. Die Leute haben mir vorhin eine Ordonnanz geschickt, ich habe unterschrieben, es ist für zehn Uhr, Herr General hatten auch unterzeichnet.« »Unterzeichnet ja.« »Man geht hin, Herr General.«
Der drückte die weißen Nüstern zusammen: »Zu den Mördern? Ich nicht.« Das Gesicht des Majors wurde zusehends blaß und schmal, es bekam seinen normalen Ausdruck, seine Augen zwinkerten, sein kalter Blick: »Ich würde empfehlen, mitzugehen.« »Sie wollen uns demütigen, sehen Sie das nicht.« »Natürlich. Wir können nichts dagegen tun. Eventuell knallen sie uns ab.« »Man kann ausrücken, man kann sich selber vorher ...« »Selbstverständlich. Natürlich. Aber kommt alles nicht in Frage.« »Was kommt denn in Frage? Sie scheinen ja heute besonders guter Laune zu sein, Herr Major.« Das war ein Vorwurf. Der Major bückte sich nach der Zeitung, blickte seitlich auf die Wand, wo es einige angeklebte Fliegen gab, er flüsterte: »Wir haben hier viel Ungeziefer, Herr General, ich habe gejagt.« Er blickte listig den Alten an: »Da kleben sie.« »Wer?« »Die jungen Fliegen und (der Major hielt sich die Hand vor den Mund, dicht bei dem Alten) die andern.« Der war doch verrückt. »Wenn Sie gestatten, Herr General, lese ich Ihnen ein paar Neuigkeiten aus der Zeitung vor. Die Ordonnanz brachte die Zeitung mit rauf.« Achselzucken des Alten. Der Major aber begann:
»Erstens ein paar Nachrichten, die nicht überraschend sind. Unsere Truppen stehen östlich der Maas, kämpfen ausgezeichnet. Ist Ihnen ein Oberleutnant Hennings bekannt, Brandenburgisches Reserve-Infanterieregiment Nr. 207? Ich kenne seinen Vater. Der Junge wird im Tagesbericht lobend erwähnt, neben einem sächsischen Oberleutnant.«
Der Alte, das Gesicht verbissen, winkte ab: »Kenne keinen.« Der Major beruhigte: »Sie leisten Widerstand. – Dann ein Aufruf von der Regierung an das Heimatheer.« »Wer unterschreibt den Wisch?« »Drei Personen, der Sozi Ebert spielt den Reichskanzler, einer heißt Göhre, Mitglied des Reichstags, Kriegsminister Scheüch.« »Möchte nicht in seiner Haut stecken.« »Seine Majestät ist in Holland. Die holländische Regierung hat die Internierung des Kaisers beschlossen.« Der Alte hielt sich die Ohren zu: »Aufhören.«
»Nun zur Sache. Bitte um Entschuldigung.«
Und während der Alte die Mütze auf dem Schoß ungeduldig auf und ab wippte, kniff der Major die Wangen ein, spitzte den Mund und blickte auf die Zeitung. Es zuckte um seine Augen und
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