November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
kann ich behilflich sein.« Der Vorsitzende: »Wenn’s soweit ist. Danke.« Der General hauchte: »Eine Tortur.« Es gab eine Pause. Der Vorsitzende starrte unverändert zu den Offizieren herüber: »Die beiden Herrn Offiziere haben inzwischen etwas über den Leutnant von Heiberg erfahren?« Der Major schüttelte den Kopf. Der Vorsitzende: »Wo er hingekommen ist? Er ist Berliner.« Der bissige Schreiber: »Der Mörder ist flüchtig. Wir haben seine Adresse. Die Beerdigung der beiden Opfer soll morgen vormittag stattfinden, Garnisonfriedhof, von der Kaserne aus.«
Pause. Der Vorsitzende immer zu den beiden Gästen herüber: »Alle Offiziere der Garnison nehmen daran teil.« Die beiden Herren bewegten sich nicht.
Dann wurde über den Abmarsch gesprochen. Er mußte über Straßburg und den Rhein ins Badische hinein erfolgen. Erstens, wann soll er erfolgen? Es stellte sich nach und nach heraus: man soll sich beim Generalkommando danach erkundigen, wann man dran ist; von hier aus kann die Truppe nichts machen, man wird doch geschlossen abmarschieren. Der Nachbar des Vorsitzenden notierte, sagte: »Ich übernehme zu telephonieren.« Die Offiziere flüsterten. Der Vorsitzende: »Wenn die Herren etwas zu sagen haben.« Der General: »Es sind Belästigungen der Truppe seitens der Bevölkerung möglich. Man kann beschossen werden. Ich empfehle, sich wegen der Sicherheit auf den Chausseen zu orientieren.«
Den Offizieren gegenüber saßen zwei Landstürmer, die die Jacken aufgeknöpft hatten und die Offiziere herausfordernd und spöttisch fixierten. Der jüngere von ihnen meinte: »Elsaß ist kein Kriegsgebiet. Außerdem bin ich dagegen, daß der Vorsitzende, der Kamerad Henschel, sich Sorgen darüber macht, was die Herren Offiziere meinen.« »Du kannst auch reden.« »Von mir aus ist hier keine unruhige Zone, oder kein Kriegsgebiet. Weil überhaupt kein Krieg ist. Den Krieg haben die Offiziere verloren, und jetzt ist er aus.« »Bravo.« »Bist du fertig?« »Ja. Wenn man aber jetzt wieder anfängt, die Offiziere zu befragen, wie sie es machen wollen ...« »Wir werden nach der Meinung fragen können.« »Dann macht man einen Fehler. Dann geht nämlich der Krieg wirklich weiter.«
Der Vorsitzende klopfte mit einem Teelöffel auf die Tischplatte: »Die Regimenter sollen abmarschieren, ihr habt euch geäußert und die Offiziere auch. Wir werden also eine Patrouille nach Straßburg schicken, die feststellen soll, wie es mit der Sicherheit auf der Chaussee steht.« Der junge Landstürmer, der eben gesprochen hatte, unterbrach heftig: »Zum Donner, warum sollen denn die Wege nicht sicher sein? Ich bin gestern da gewesen. Wir sind doch nicht im Krieg.« Der Vorsitzende skandierte: »Ob nicht etwa auch grade um dieselbe Zeit andere Regimenter marschieren, eventuell Artillerie, man wird nicht durchkommen.« »Dann wird man eine halbe Stunde warten. Wir werden uns mit den Kameraden verständigen.« »Du willst also nicht, daß wir eine Patrouille nach Straßburg schicken.« »Wir lassen nicht mit uns weiter Krieg spielen. Die Patrouille ist überflüssig. Immer so weiter. Immer folgen, was die Obrigkeit sagt. Dazu haben wir nicht Revolution gemacht! Da könnt ihr ja gleich den Herrn General bitten, weiter zu befehlen.«
»Der Herr General ist nur Garnisonältester. Den Oberst gibt’s nicht mehr, wie du weißt. Wir stimmen also darüber ab, ob eine Patrouille nach Straßburg geschickt wird oder nicht. – Zwei dagegen, acht dafür.« Der junge Landstürmer, Hände in den Taschen, die Beine lang ausgestreckt: »Macht nur so weiter.«
Der Vorsitzende zu seinem Nachbar: »Du hast notiert.« Leise: »Was schreibst du denn bloß immer.« »Notizen, privat, für einen Brief.« Der Vorsitzende blickte ihn verdutzt an, der kritzelte ruhig weiter. Was macht der?
Man beriet über die Magazine; die Kleider- und Gerätekammern im zweiten Stock waren bis zur Decke voll von Uniformen, Mänteln, Ausrüstungsgegenständen, Stiefeln, Gamaschen, Unterzeug, Lager für mehrere tausend Menschen. Der General flüsterte dem Major zu: »Nicht dazu sprechen.« Major: »Bin auch neugierig.« Man war bald einig, daß es nicht möglich war, die Magazine abzutransportieren. Also: jeder Soldat wird neu eingekleidet und nimmt mit, was ihm fehlt. Der Rest bleibt liegen. Nachdenklich saß man über dieser Lösung. Der Vorsitzende fluchte: »Die Intendanz läßt uns mit dem ganzen Kram sitzen, eine Schande; wenn man die Kerle trifft, sollte man sie
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