November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
die Mundwinkel. Mit leiser beherrschter Stimme las er: »Die neue Regierung hat die Führung der Geschäfte übernommen, um das deutsche Volk vor Bürgerkrieg und Hungersnot zu bewahren und seine berechtigten Forderungen auf Selbstbestimmung durchzusetzen.«
Er hielt inne, den Blick auf das Papier. Der Alte wippte mit der Mütze: »Weiter.« Die Nüstern des Majors blähten sich, sein Gesicht begann sich wieder zu färben: »Schön, was, Herr General: das deutsche Volk vor Bürgerkrieg und Hungersnot zu bewahren.«
»Lächerlich«, krähte der General, »wer macht denn den Bürgerkrieg und die Hungersnot? Sie!« »Nein, grade sie nicht.« Er hob das Papier, wie man einen kleinen Hund am Genick faßt: »Sie machen ihn nicht. Hören Sie zu, Herr General.« Und er zog wieder das Blatt herunter, legte es über seine Knie und warf sich auf seine Beute: »Wir waren bei den berechtigten Forderungen auf Selbstbestimmung. Selbstbestimmung steht heute hoch im Kurs, der Wilson hat sie in seinen vierzehn Punkten, und bei uns im Lande möchten die Arbeiter, die Sozis, der kleine Mann, auch mal mitreden. ›Diese Aufgabe kann die neue Regierung nur erfüllen, wenn alle Behörden und Beamten in Stadt und Land ihr hilfreich die Hand reichen.‹«
»Lächerlich, da kann sie lange warten.«
Der Major marschierte, das Blatt in der Hand, mit gewaltigen Schritten durch das Zimmer, um den Tisch herum: »Sagen Sie das nicht, Herr General. Die hilfreiche Hand werden wir reichen, der neuen Regierung. Sollen aber ihre kleine Patsche so bald nicht aus unserer Hand herausbekommen.«
Und da war wieder der erste Lacher: »Ich weiß, schreibt er, der neue Reichskanzler, daß es vielen schwer fallen wird, mit den neuen Männern zu arbeiten, die das Reich zu leiten unternommen haben. Er kann sich gut in uns hineindenken, ihm schwant etwas, er fürchtet sich, aber er wirbt, er gibt’s nicht auf. Er sagt: Ich appelliere an Ihre Liebe zu unserm Volk.« Der Major stand, stützte sich mit der Hand am Tisch und kicherte nun behaglich vor sich, das Blatt schwenkend: »Ja, so ist es. Es wird manchmal schwer fallen. Aber er appelliert doch an unsere Liebe zum Volk. Es ist wie bei einem Todesfall, in der Familie, da vergibt man alle Kränkungen, nicht wahr; er hat die Regierung übernommen, das ist kein Spaß, kein Spaß für den Genossen Ebert.«
Der General klatschte mit der flachen Hand auf den Schenkel und schrie: »Die Kerle sind unverschämt, mit der Peitsche soll man sie davonjagen.«
»Er lädt uns ein. Er sitzt an der Macht, es ist wahr, sonst säßen Sie, Herr General, und ich nicht hier und hätten den Wisch vorhin nicht unterschreiben müssen. Er sitzt an der Macht und lädt uns ein ...«
»Und was sagen Sie dazu?«
»Daß er ein ungeheurer Esel ist, daß er ein Esel von solchem Format ist, daß man es sich schon schwer vorstellen kann. Dem ist pflaumenweich zumute, Herr General. Das ist ein ganz gewöhnlicher Hammel. Dem wäre es zehnmal lieber, er hätte die ganze Regiererei schon hinter sich.« »Dann soll er es doch lassen und uns nicht malträtieren.«
Es war, als ob der Major am Tisch nur auf einen Anstoß gewartet hätte, um stürmisch um den Tisch zu marschieren. Das war der Schritt, den der General jeden Morgen über seinem Kopf stampfen hörte: »Malträtieren! Uns!« Er lachte, höhnte: »Das Pack uns malträtieren! Solch Hammel! Wer will mich malträtieren! Daß sie mir die Achselstücke abreißen ...«
Er stürzte zur Tür, rief die Burschen: »Beide Burschen sofort in den Garten! Umgraben!« Er stellte sich am Fenster auf, das ging auf den Garten hinaus, er riß es auf, schrie, als er sie sah, streckte den Arm hinaus: »Am Zaun!«
Er schloß das Fenster: »Die sind versorgt. Bitte um Entschuldigung.« »Die Achselstücke abreißen«, wiederholte der General auf seinem Platz, er wartete. Der Major war vor ihm, beugte sich mit blutrotem Kopf zu ihm herunter, so daß der Alte sich entsetzte, der Major blies ihm ins Ohr: »Dafür werden wir ihnen die Köpfe abreißen.« Der General reichte ihm erschreckt die Hand: »Das walte Gott.«
Langsam mit zuckenden Lippen bewegte sich der Major auf den Tisch zu, das Blatt lag da, sein Gesicht blaßte ab, er nahm die Zeitung: »Also der Wisch der neuen Regierung, mit Handschuhen und Holzklammern anzufassen: ›Ich appelliere an Ihre Liebe zu unserm Volk.‹ Weiter im Text. ›Ein Versagen der Organisation in dieser schweren Stunde würde Deutschland den Unruhen und dem schwersten
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