November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
war, vor der sich aber der Major aufgepflanzt hatte. Danach fragte der Vorsitzende, was nach der Meinung der Offiziere jetzt geschehen solle. Und als der Alte, der sich nicht irremachen ließ, bockig erklärte, man hätte zu disponieren, statt zu feiern, und der Sekretär zischte: »Wer feiert denn?« – grunzte Henschel: »Feiern wir? Die Beerdigung findet jedenfalls statt, wie festgesetzt, neun Uhr. Wir brauchen natürlich nicht alle hinzulaufen. Genügt, wenn der Soldatenrat und das Offizierkorps, soweit es da ist, vertreten ist. Die Herren müssen sich also entscheiden, wer mitgeht.« Der General: »Sie haben meine Meinung gehört.« Der Vorsitzende wandte sich an den Major: »Dann müssen Sie ran, Herr Major.« Der General und der Major blickten sich an, der General verstand das kleine Zucken im Gesicht des Majors. Der Major: »Ich werde also das Offizierkorps vertreten, rechne aber damit, daß alles ordnungsmäßig verläuft.« Henschel wollte etwas bemerken, der Sekretär riß aber schon die Tür auf, der Gang war voll Menschen. Offiziere und Räte drängten sich durch, Henschel schimpfte sich seine Wut vom Leibe: »Dalli, auf den Hof, antreten.«
Der Major und der General marschierten auf der Treppe, ohne sich zu beeilen, der Alte wurde fest am Ärmel gehalten vom Major, der ihm zuraunte: »Sie bleiben auf dem Hof dicht bei mir.«
Unten ordneten sich die Leute, die beiden Offiziere gingen quer über den Platz ungehindert zum Tor. Da verabschiedete sich der General, der Major trat im Hof an die Seite der Soldatenräte. Die Trauermusik begann zu spielen. Aus dem Mittelportal trug man zwei Särge. Trommeln wirbelten.
Es ging langsamen Schritts durch die Kasernenstraße zum nahen Friedhof. Die Soldaten marschierten in losen Viererreihen. Der Weg war von Zivil und Militär eingezäunt. Drohend schob sich der Zug mit den beiden Särgen vorwärts. Der Major im Glied mit drei Soldatenräten blickte steif gradeaus auf den zweiten Leichenwagen. Als man sich um die Gräber gruppierte, in die die Särge herabgelassen wurden, wurde es unheimlich. Nach den Gebeten des katholischen Geistlichen sprach ein Soldat. Der Mörder wurde verflucht, das dreimalige »Nieder« artete in ein gefährliches Geschrei aus. Als der Major von der Schaufel die üblichen drei Hände Sand in eine Grube geworfen hatte, flüsterte ihm von hinten ein Zivilist zu, der so tat, als wollte er an die Gruft: »Machen Sie, daß Sie fortkommen, Herr Major. Man hat etwas vor.« Er merkte es schon. Aber wie fortkommen, vor tausend Menschen am hellen Tage.
»Sie haben mir Sicherheit versprochen«, sagte er zu Henschel, als sie sich von der Gruft entfernten.
Der zog zornig den Schreiber an sich: »Die Kapelle soll spielen. Ein paar sichere Leute her.« Und während das »Ich hatt’ einen Kameraden«, gesungen von der Menge, über den Friedhof brauste, konnte sich der Major hinter einer Gruppe von Soldaten retten, erst in das Wärterhaus, dann im Umhang und mit der Schirmmütze des Wärters nach Hause.
Gereizt und verbissen zog er sich oben Zivil an, stieg zum General herunter, der ihm strahlend die Hand hinstreckte. Mit zwei Worten orientierte ihn der Major, dessen Stimme zitterte.
»Haben Sie Furcht?« fragte der Alte. Der Major heiser: »Hat ja keinen Zweck, sich wie eine Ratte totschlagen zu lassen, in einer halben Stunde ist man vor unserm Haus.«
Sie fuhren nach zehn Minuten in einem kleinen Fouragewagen, den die treuen beiden Burschen kutschierten. Der Wagen schleuderte greulich, sie saßen sich steif und wortlos gegenüber unter dem Leinendach, die Burschen karriolten wie Besessene. Ab und zu schrie man sie von der Straße an, ab und zu krachte ein Schuß. Der General drehte einmal dem Major mit dem grünen Filzhütchen sein kleines mageres Greisengesicht zu, aus dem zwei runde harte Augen glühten: »Schämen Sie sich nicht, Major?«
Der hatte die ganze Zeit mit den Zähnen geknirscht, die Mütze auf den Knien zerdrückt. Er antwortete, ohne von seinen Füßen aufzublicken: »Amputieren ohne Narkose. Mit dem Knüppel erschlagen werden, ist besser.« Sie zuckten im Wagen auf und ab.
Um diese Stunde verläßt Leutnant von Heiberg, der gejagte, Straßburg – endlich. Es hat doch keinen Umschwung gegeben, wie der Adjutant, sein Freund hoffte. General von Loßberg, von der Armee Prinz Albrecht, der Kommandierende General und der Oberstleutnant von Holleben hatten tapfer und schlau vor dem Soldatenrat gesprochen, hatten Widerstand geleistet,
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