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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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besprochen, die allgemeine Völkerversöhnung konnte nicht mehr lange ausbleiben, und da war sie schon.
    Weiter verkündigten die amtlichen Unteroffiziere, daß derselbe Herr von Hintze (man schrie: »Wie heißt er?« Antwort: »Hintze, mit tz.« »So, so«, gab man sich zufrieden) mitgeteilt habe aus dem Hauptquartier («Wo ist das Hauptquartier?« »Ist nicht gemeldet.« Unzufriedenheit: »Keine Geheimniskrämerei mehr!«), daß die Soldaten die Herstellung der Waffenruhe selbst in die Hand genommen haben. («Bravo.«) Und von Hintze hat gemeldet, daß, wenn sich das bestätigt, damit die ganzen Waffenstillstandsverhandlungen von Clemenceau und Foch gegenstandslos geworden seien. Endlich in der englischen Flotte haben die Mannschaften bereits die Macht an sich gerissen. (Geschrei: »Wahr!« »Das ist wahr!«) Sie haben die rote Flagge gesetzt. (Klatschen.) Und daß die italienischen Soldaten aus eigenem Entschluß nach Haus gehen, ist Tatsache.
    Der Geschäftsführer des Warenhauses Klöppel, ein älterer gebildeter Mann, der im Auftrag seines Chefs durch die Stadt ging, um unter der Hand vor Unruhen zu warnen, stand bekümmert, eingekeilt in dem lustigen Haufen. Er war nicht gewohnt, seine Meinung öffentlich oder auch nur in einem größeren Kreis bekanntzugeben, er war das Verhandeln von Person zu Person gewohnt. Ihm brannte aber eine Nachricht auf der Seele, die er heute morgen mit eigenen Augen gelesen hatte und die dasselbe betraf, was der Herr Hintze aus dem unbekannten Hauptquartier dem hiesigen Soldatenrat mitgeteilt hatte. Der Geschäftsführer wußte danach, daß die Entente überhaupt nicht mit einem bolschewistischen Deutschland Frieden schließen wolle, einfach weil in einem solchen und derartigen Staat keine Regierungsgewalt von Dauer und Autorität zu finden wäre, und da bliebe der Entente schon weiter nichts übrig, als einzumarschieren und in Deutschland Ordnung zu schaffen. Es war schwer, dies zu wissen und es nicht sagen zu können. Aber Anton Ringermüller bekam es fertig, die ihm angeborene Schüchternheit stand ihm zur Seite. Erst wie er aus dem Gedränge war und still, Person gegen Person, dem ihm bekannten Spengler Jund gegenüberstand, der das Kauffieber hatte, konnte er sich mit seiner Kenntnis herauswagen und verriet, was er wußte. Der nahm die Aufklärung ohne Erregung an und bemerkte: »Die Franzosen kommen nach dem Fünfzehnten, das Datum steht nicht fest, dann werden wir schon sehen.« Dabei beruhigte sich auch Ringermüller, und seine Gedanken glitten sofort wieder zu dem Problem, das der Chef heute früh angeschnitten hatte: rotes und blaues Leinentuch zu beschaffen, für die Fahnen und Dekorationen. Rot war von den deutschen Flaggenbeständen, auch Weiß von Bettuch in genügender Menge vorhanden, aber Blau – Blau? Er beichtete Jund auch diese Sorge. Jund war expansiv, er sah überall Möglichkeiten. Er faßte Ringermüller jovial um die Schultern, zog ihn auf einen Stuhl und begann mit ihm zu beraten.

    Aus dem Lazarett entwischte um zwei Uhr mittags der Deserteur und Simulant Walter Ziweck aus Kaiserslautern, den sie wegen seines auffallenden Benehmens schon wieder in die Zelle stecken wollten. Er hatte aber etwas davon bemerkt, hatte auch ausgekundschaftet, wo im Hause sich die beiden Gewehre befanden, die die Lazarettwache im Haus abgestellt hatte. Der Portier, der am Eingang immer noch in seiner Loge saß, weil er eben seinen Posten versah und dafür bezahlt wurde, wollte, als Ziweck sich auf der Treppe in Lazaretttracht, aber mit Soldatenmantel, Mütze und Gewehr zeigte, die Tür nicht öffnen. Ziweck legte darauf von unten auf ihn an, worauf der Portier sich duckte. Er ließ Ziweck hinaus, wer sollte denn wissen, wen man jetzt vor sich hatte. Der Deserteur rannte, das Gewehr mit dem Lauf nach vorn, die Allee nach der Stadt zu. Es war mittags, man schrie auf dem Weg vor ihm, wich aus, keiner hielt ihn auf. Es gab Soldaten auf dem Wege, sie winkten den Leuten, die schrien, lächelnd, ruhig zu sein; das war offenbar ein Übermütiger, laßt die Leute sich doch austoben, die haben genug ausgehalten.
    Ziweck kannte die Stadt; er war in einem Eisenwarengeschäft Hausdiener, Austräger und Kutscher gewesen, der Besitzer hatte ihn entlassen. Da wollte er jetzt hin, mit dem wollte er abrechnen. Er fand ohne Mühe, in den Laden ging er nicht, er stieg sofort im Haus die Treppe hinauf und klingelte. Der Besitzer war im Laden, die Frau mit der Tochter in der Stadt, das Hausmädchen

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