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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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öffnete, er stieß sie beiseite, sie kreischte, verstummte aber vor Schreck, wie er den Gewehrkolben hob, sie kannte ihn nicht. Sie mußte ihm sagen, wo der Herr und die Dame waren, er durchsuchte mit ihr alle Räume, um sich zu überzeugen, daß sie nicht da waren. Dann erklärte er ihr, daß er die Wohnung mit Beschlag belege, der Herr und die Dame hätten hier nichts mehr zu suchen. Er schloß und riegelte die Wohnungstür ab, verbarrikadierte mit Stühlen den Küchenausgang. Das Gewehr ließ er nicht von sich. In der Küche mußte sie neben ihm die angefangene Speise zu Ende kochen. Er beruhigte sie währenddessen, reichte ihr Mehl und Salz zu, schmeckte ab. Nach einer halben Stunde war Ziweck mit dem Mädchen, dem er sich als ein verständiger Mensch zu erkennen gegeben hatte, in einem freundlichen Gespräch, und hatte für sie sogar etwas Anziehendes. Er erzählte unter anderm, man habe ihn eingesperrt und obwohl Revolution sei, nicht freigelassen, die Behörden machen sich noch immer breit. Er erzählte von seinem Dienst an der Front, von der Quälerei und von Drückebergern, er und das Mädchen waren bezüglich der Herrschaft dann einer Meinung. Ihr schien es recht, daß einmal der Madame und dem Fräulein bei dem großen Aufwaschen eins ausgewischt wurde, sie tyrannisieren und malträtieren das Personal auch; aber, wie Ziweck immerfort sagte: »Das hat jetzt ein Ende.«
    Sie setzten sich nach einer Weile friedlich im Eßzimmer an den Tisch, den sie gemeinsam gedeckt hatten. Er lud sie ein, sich nur unbesorgt zu setzen. Sie lachte verschämt, sie hatte noch gar nicht gewußt, daß die Revolution auch für Hauspersonal galt und daß sie so schön für die kleinen Leute war. »Nun was«, sagte er und fing an Brot zu stopfen, »du glaubst, die Schinder bleiben in der Revolution oben? Die Feldgendarmen kommen noch ran.« Sie holte mutiger den besten Wein aus der Speisekammer, den Kognak, sie wußte, wo die Frau guten Kaffee versteckt hatte und Konservenmilch. Ihre Mahlzeit zog sich auf diese Weise anderthalb Stunden hin, dann rauchte er Zigarren vom Herrn und sie Zigaretten. Und dann drehte er das Grammophon auf und ließ Schlager spielen. Sie tanzten ein bißchen und küßten sich. Dabei spazierten sie in das Schlafzimmer der Herrschaft, sie deckte sorgfältig die Betten ab; er stellte sein Gewehr an den Spiegelschrank und erklärte: »Nachher rasier’ ich mich, dann gehen wir runter in den Laden und rechnen mit dem Herrn ab.« Das Hausmädchen war glücklich, als sie sich auszog, die Revolution war ein einziger Geburtstag: »Was würde wohl die Dame sagen, wenn sie uns hier in ihrem Bett findet?« Ziweck, der sie wild umarmte und vor Erregung stöhnte – wie lange hatte er keine Frau an seinem Fleisch gefühlt –: »Die sollen nur merken, daß Revolution ist.«
    Es war gegen fünf, als sie ihn weckte. Er wollte nicht aufwachen. Es hatte geklingelt. Sie schlich im Hemd zur Tür und blickte durch das Beobachtungsloch, es war der Briefträger, er klingelte nochmal, dann ging er langsam die Treppe herunter. Als sie zurückkam, zog Ziweck sich schon schweigend die Strümpfe und die Hosen an, gähnte und war mürrisch. Als er dann die schweren Soldatenstiefel anhatte und die Hosenträger befestigte, stand er auf, und sie sah ihn an. Sie hatte sich wieder ins Bett gelegt und dachte weiterzuschlafen, sie war ein dummes fröhliches Geschöpf vom Lande; glaubte, daß das, was hier geschah, eben die Revolution war; die Soldaten auf der Straße hatten ihr schon so viel und so Wunderbares davon erzählt, und da war es nun auch zu ihr gekommen. Aber sie erschrak über sein stilles Gebaren und auch über seinen harmlosen Gesichtstic, der jetzt wieder zum Vorschein kam: sein Mund stellte sich schnauzenförmig vor, und es gab ein Schnalzen, dann stand der Mund wieder richtig. Sie zog sich beunruhigt an und bekam plötzlich fürchterliche Angst. Sie sagte nichts, er sagte nichts. Sie sagte: »Ich komme bald wieder«, und verschwand im Korridor. Er hörte sie aber am Schloß arbeiten und fragte: »Was machst du?« Sie winselte: »Ich dachte, ich dachte – es hat doch geklingelt.« »Komm rein«, befahl er, und war ganz gemütlich: »Wir werden doch nicht vor den Leuten Furcht haben.« Da fiel sie ihm vor der Tür um den Hals und küßte ihn heftig; nein, es war Revolution. Da klingelte es wirklich. Er sagte: »Komm in die Stube«, und als sie nicht kam, riß er sie herein.
    Draußen stand der Besitzer. Es entwickelte sich

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