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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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die Szene, von der am Abend die ganze Stadt sprach. Der Eisenhändler schlug gegen die Türe, Ziweck verbat sich den Lärm und warnte ihn. Er werde durch das Loch schießen. Der Besitzer hätte hier nichts zu suchen. Darauf zog der Eisenhändler ab und ging zur Polizei. Die beiden Beamten, die man schickte, verhandelten durch die Tür mit Ziweck, er antwortete ihnen unflätig, und sie würden von seinen Kameraden an die Wand gestellt werden, wenn sie sich nicht davonscherten. Sie zogen unschlüssig ab, das war eine Militärangelegenheit. Sie wollten lieber nichts unternehmen. Auf der Straße sammelten sich Leute um sie, weil der Eisenhändler schrie, aber sie nahmen gegen ihn Partei. Es öffnete sich oben ein Fenster, und Ziweck schrie drohend heraus, und plötzlich krachte ein Schuß, die Straße war sofort leer, er hatte keinen getroffen. Nach zehn Minuten erschien ein Wagen mit zehn Bewaffneten. Einer der Soldaten mit der Binde des Soldatenrats schrie mutig hinter dem Wagen: »Kamerad«, und nochmal: »Kamerad«. Ziweck zeigte sich oben, die Flinte in Anschlag: »Was wollt ihr?« »Wir kommen vom Soldatenrat. Es geschieht dir nichts. Komm runter.«
    Ein unflätiges Wort antwortete. Der unten versuchte weiter zu parlamentieren, er hielt Ziweck wie die andern für betrunken: »Kamerad, das geht doch nicht, komm endlich, was sollen sich die Bürger hier denken.« Wieder ein unflätiges Wort von oben. Da brüllte der unten und verwarnte ihn. Darauf spuckte Ziweck herunter und tippte an seine Stirn: »Ihr seid Hornviecher. Ihr wollt Revolutionäre sein? Dreckpack.« Und schoß. Der Wagen wurde getroffen, sie warfen sich hinter ihm in Deckung und eröffneten ein regelrechtes Feuer auf das Haus. Die Scheiben klirrten, Frauengeschrei aus den Nachbarhäusern.
    Um das Mädchen kümmerte sich der oben nicht mehr. Und sie bemerkte allmählich, inmitten ihrer Angst, daß er von ihr keine Kenntnis mehr nahm. Er schimpfte nur gewaltig vor sich her. Sie hatten ihn schon wieder in seine Zellenverfassung gebracht, hinter der Barrikade seines Bettes. Sie schossen unten lustig in die leeren Fenster und gegen das Gestein. Da saß aber Ziweck schon am Eßzimmertisch und trank vom Kognak des Herrn. Barbara aus Ensisheim war gewiß die Verbindung von einer Gans und einem Kalb, wie ihr die Frau Eisenhändlerin täglich vorhielt. Aber hinter ihrer bäurischen Unbeholfenheit verbarg sich Instinkt und Wissen, und im Augenblick war sie beherrscht von dem bekannten Gemisch aus Neugierde, Lüsternheit und Ehrfurcht vor einem Mann, das bei manchen Mädchen Neigung heißt und sie hellsichtig macht. Es war Barbaras erste Liebesregung, jedenfalls seit sie das Dorf verlassen hatte, sie war in der Stadt noch keinem Mann nähergekommen. Nun ängstigte sie sich zwar vor Ziweck, der so plötzlich vom Himmel zu ihr herabgestiegen war, aber sie behielt ihn gern und wollte ihn um keinen Preis verlieren. Sie war hartnäckig, besonders in Liebesdingen. Sie hatten ihn im Krieg krank gemacht, er kam ja aus dem Lazarett, und da mußte sie ihm beistehen. Und sie ließ ihn ruhig tun, weil er ja der Mann war, aber tat auch ihrerseits, was sie für gut hielt.
    Erst setzte sie sich am Tisch auf seinen Schoß, wie sie es vom Dorf her gewöhnt war. Dann schloß sie zum ungeheuren Erstaunen der Belagerer unten die grünen Holzläden, währenddessen schossen sie nicht und auch nachher eine ganze Weile nicht, denn sie glaubten, das Mädchen, das er festhielt, wäre ihre Bundesgenossin und würde ihnen den Mann ausliefern. Sie ließ einen halben Fensterladen zur Beobachtung offen und überlegte, was tun. Sie hätte zu gern von ihm gewußt, warum sie denn von den andern Soldaten gestört wurden, er war doch auch Soldat und machte Revolution. »Das möchte ich auch wissen«, antwortete Ziweck zwischen seinen Drohreden und wollte die Leute vom Fenster her ausschimpfen. Aber die Kugeln fuhren in die Zimmerdecke, Stuck fiel, sie schob den Fauteuil, in dem er nun unbeweglich blieb, und den Tisch samt der Flasche gegen die Tür. Er wollte sich erheben, mit dem Blick auf die verletzte Zimmerdecke. Wieder schimpfte er, schon mit glotzenden Augen, auf die verfluchten Volksverräter, aber er goß sich zuviel in den Hals. Barbara kannte das Trinken der Männer, sie wußte auch, es war gefährlich, sich da einzumischen. Ratlos stand sie da, entschlossen zu helfen, aber ohne Ahnung, wie.
    Da leuchtete es in ihr auf, daß sie es einfach den Soldaten unten sagen müsse, daß man doch

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