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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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hatten »nein« gesagt – dann kam von der Obersten Heeresleitung der Befehl: nachgeben! Von der Obersten Heeresleitung selbst! Der kleine erschütterte Adjutant verabschiedet sich von Heiberg: »Sei stolz, Junge, daß du geschossen hast, bevor sie’s verboten haben. Ich habe dir eine Fahrkarte nach Berlin ausfertigen lassen, ab Kehl, auf einen beliebigen Namen, hier das Soldbuch dazu. Man bringt dir einen Soldatenmantel und eine Mütze.« »Ich gehe gleich?« »Ja. Über die Brücke, wie alle. Leb wohl, Heiberg. In Berlin!«
    Er wurde, wie er sich entlang den Straßenbahnlinien östlich bewegte, von einem wahren Menschenstrom mitgerissen. Soldaten und Zivil, mit Sack und Pack, zogen aus der Stadt heraus in Richtung auf den Rhein. Auf manchen Straßen im Osten der Stadt kamen Burschen gelaufen, höhnten, johlten, schwangen die Trikolore, verschwanden rasch, wie sie gekommen waren. Ein paarmal wurde aus Seitenstraßen geschossen. Stumm schob sich der Zug vorwärts.
    Es war halb zwölf, als man sich der Brücke näherte und warten mußte. Denn auch von der andern Seite kamen welche, von Kehl her, viele, viele. Diese wurden freundlich von Schwestern in Tracht und feinen Damen empfangen. Lastwagen, Krankenwagen, rauchende Speisekessel warteten auf sie. Soldaten waren dabei in derselben Uniform wie die, die sich aus der Stadt bewegten. Sie waren Elsässer im Heeresdienst, Zivilisten, Gefangene, die man entlassen hatte, auch sie mit Sack und Pack, Schwache, Alte und Kranke.
    Ehe sich Heiberg versah, wurde er vorwärts geschoben, schritt unter den andern, Männern, Frauen und Kindern über die Brücke. Unten strudelte der alte Rhein. Vom Straßburger Brückenkopf hinter ihnen gellte das Pfeifkonzert. Dann war man drüben, auf deutschem Boden. Seine Papiere zeigte er zwei Soldaten mit roter Binde, es ging sehr rasch, er wurde nach seiner Fahrkarte gefragt, ein Stempel in sein Buch.
    Als es vorbei war und er sich mit anderen auf eine nahe Baracke zuschob – und nun nicht mehr das grauenvolle Pfeifen und nicht mehr die Angst, und dies ist doch Deutschland –, da wurde er schwindlig, und es ließ in ihm nach.
    Sanitäter trugen ihn in die Baracke. Da lagen schon viele. Frauenweinen, Kindergeschrei.
    In dem Städtchen wurde an diesem Mittag die Stimmung fröhlicher und erregter. Dabei konnte keiner sagen, warum. Es war Dienstag, der Zwölfte, die Flugblätter, die die französischen Flugzeuge in der Sonntagnacht abgeworfen hatten – der letzte Fliegeralarm –, hatten das Eintreffen französischer Truppen für den Fünfzehnten angekündigt. Jetzt hieß es: es würden schon morgen welche da sein, das wurde von einigen Alteinsässigen verbreitet, um den Reichsdeutschen Furcht zu machen und billig zu ihren Sachen zu kommen. Es wurde bekannt, daß in Nancy ganze Züge bereitstünden, um das Elsaß mit Weißbrot und Wein zu versorgen. Darauf erniedrigten sich sturzartig in den Lokalen die Weinpreise, es sollte noch vorher alles weggetrunken werden, und es wurde getrunken und getrunken, und die ganze noch vorhandene Garnison, die aufgeregt und rachsüchtig nach der Beerdigung der beiden Soldaten vom Friedhof in die Stadt strömte, trank sich in den Lokalen fest und vergaß General und Major und alle Rachsucht und freute sich, daß der Krieg zu Ende war.
    Und es kamen überall vor den Spießern Heldentaten zum Vorschein, in Rußland, Rumänien, in den Karpathen, ja man erzählte von Syrien. Bürger und Soldaten näherten sich im Trinken, die Verbindung war noch inniger als bei der Demonstration auf dem Markt. Auch an Gänsen konnte man sich laben, denn man war ja im Paradies der Stopfgänse, diese Gegend versorgte viele Menschen mit dem Hopfen für ihr Bier und mit der Gänseleber für das Horsd’œuvre; aber ein Pfund Stopfgans hatte gestern fünfzehn Mark gekostet, jetzt sank der Wert des dicken gequälten Tiers auf zwölf Mark, zehn Mark, fünf Mark, und alle, nur die Besitzer nicht, freuten sich darüber.
    Es wurde auch auf dem Markt von einigen Unteroffizieren mit roten Armbinden laut verkündet, gewissermaßen amtlich – aber geglaubt wurde es nur da, wo man es wollte –: Ein Herr, namens von Hintze, habe aus dem Hauptquartier gemeldet, daß es in Frankreich an der Front genau so aussehe wie bei uns. Hurra schrien einige Soldaten und hörten nicht auf, man trat animiert aus den Kneipen und ließ es sich wiederholen, und von diesen Kneipengästen hielten es viele für möglich, denn man hatte genau das eben weitläufig

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